"Wären wir eine Zeitung, wären wir jeden Tag 300 Seiten dick". Sätze wie diese untermauern die Einzigartigkeit des weltweit erfolgreichen Kultursenders Ö1. Die Filmemacher Jakob Brossmann und David
Paede haben über den Sender, dessen Protagonisten und dessen intellektuelle Enklave, das Funkhaus in der Argentinierstraße, einen Dokumentarfilm mit dem Namen "Gehört Gesehen" gemacht. Kann das gut gehen? Ein Film über einen Radiosender? Ja. Und wie!

Das Ergebnis ist ein wunderbar kurzweiliger Radiofilm, der zugleich Liebeserklärung an Ö1, seine Zuhörerinnen und Zuhörer sowie seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist. Daneben aber auch eine Liebeserklärung an Nischenthemen, die Langsamkeit des Nachdenkens, Kultur, Klassik oder journalistische Tiefenbohrungen ist.

Es geht um die Zukunft

Ganz schön viel Stoff für einen Sender. Und genauso perspektivenreich legen die Filmemacher ihre Herangehensweise an. Sie gewähren viele verschiedene Blicke hinter die Kulissen, dringen in die angespannte Situation von Aufnahmeleitungen oder Wahl-Livesendungen wie jene von der letzten Nationalratswahl ein und dürfen auch bei Sitzungen der Chefetage dabei sein, bei denen es mit kritischer Distanz, Angrifflustigkeit und enormer Souveränität ans Eingemachte und um die Zukunft des Senders geht.

Und die ist durchaus nicht in trockenen Tüchern. Die Bundesregierung bastelt seit längerer Zeit an einem neuen ORF-Gesetz, aktuell ist die Gebühren-Debatte neu entfacht und 2022 muss die Belegschaft - trotz jahrelangem Protest - vom Funkhaus auf den Küniglberg wechseln. Vor diesem Hintergrund der Bedrohung der öffentlich-rechtlichen Medien, der Rede von Filterblasen, Echokammern, Staatsfunk oder  alternativen Fakten steuert das Regie-Duo auch einen stimmenstarken Appell für dessen Erhalt bei.

Die Lieblingsstimmen bekommen ein Gesicht

Ö1-Fans kommen in den Genuss eines wunderbaren Erlebnisses: Die wunderschönen, markanten und einfühlsamen Stimmen, von denen sie tagaus tagein akustisch begleitet werden, bekommen nun ein Gesicht. Und in vielen kleinen Szenen bekommt man zu sehen, wie beharrlich sie am Prinzip eines Qualitätssenders in durch soziale Medien aufgeheizten stürmischen Zeiten festhalten - und wie träge zum Beispiel die Macher der Musiksender "Des Cis" dabei sind, wenn es um minimale Veränderungen geht.

Schauspieler Karl Markovics bei der Aufnahme im Studio
Schauspieler Karl Markovics bei der Aufnahme im Studio © Nikolaus Geyrhalter Film

Spannend ist es, in der Doku die Neuausrichtung des Senders zum 50er zu erleben - wie oft und wie unterschiedlich kann die Phrase "Guten Morgen, Österreich" klingen, je nachdem wo sich die Sprecherinnen und Sprecher den Doppelpunkt bei der Aufnahme denken. Oder: Charmant sind die Szenen, in denen zwei Reinigungskräfte beim Putzen des Studios zu sehen sind und einmal unabsichtlich ein Knöpchen herausgezogen wird. Auch beeindruckend: Wie geduldig die Mitarbeiter beim Callcenter ihnen zuhören.

Die schönste Szene ist eine Aufnahmesituation mit einem Moosforscher: Wo der Redakteur und der Wissenschafter mit ernsthaften Mienen und burgtheatertauglichen Dialogen zwischen Tümpeln und Froschlauten über die Überlebensfähigkeit von Moos sprechen.

Bei der umjubelten Weltpremiere vor ausverkauftem Haus im KIZ Royal sagte Ö1-Chef Peter Klein in Anlehnung an diese Szene: "Ö1 ist das Moos, das alles überlebt. Das kann ich ihnen garantieren."

Noch zu sehen: Samstag, 11 Uhr, Schubertkino 1