Die Menschen in Norbert Gstreins Romanen verschlägt es oft in die Fremde. Dort schlagen sie sich dann herum: mit der Vergangenheit meist, oder mit der Wahrheit. Kurz: mit sich selbst. Im Erzählen eröffnet dieser Autor seinen Menschen die Möglichkeit des Findens. Literatur als Heilung, Sprache als Weg dorthin. Ein Weg, den im neuen Roman auch Franz geht.

Das Formelhafte, das diesem Autor mitunter vorgeworfen wird, löst sich in diesem Buch auf zugunsten einer nahezu schillernden erzählerischen Lebendigkeit, die wiederum im Widerspruch steht zum stoischen Innen- und auch Außenleben der Hauptfigur.

Dieser Franz ist ein Mann ohne besondere Eigenschaften, der das aber offenbar nicht als Mangel empfindet. Sohn eines Hotelbesitzers in den Tiroler Bergen, wird dem Buben früh eine Kamera in die Hände gedrückt, um Hochzeitspaare zu fotografieren. Dann ein heimlicher Kuss und eine Braut, die offensichtlich Selbstmord verübt. Franz entfernt sich in die Fremde, in die USA, arbeitet dort als Skilehrer.

Wieder ein Selbstmord

Und dann: wieder ein Unglück. Diesmal ist es ein tschechisch-amerikanischer Raketenphysiker, sehr gut mit Franz befreundet, der fast vor dessen Augen den Freitod sucht und findet. Man tuschelt im Ort. War es mehr als Freundschaft, was hatte der Österreicher mit dem Selbstmord zu tun?

„Als ich jung war, glaubte ich fast alles und später an fast gar nichts mehr, und irgendwann in dieser Zeit dürfte mir der Glaube, dürfte mir das Glauben abhandengekommen sein.“ Reißende Sätze wie diese tauchen immer wieder im Franz’schen Erzählstrom auf. Das Zurückkommen nach Tirol ist keine rettende Heimkehr, vielmehr droht dort eine erinnerungsmächtige Heimsuchung.

Raffiniert verwebt Gstrein die aktuelle US-Kriminalgeschichte mit Rückblenden in die österreichische Jugend. Der verbotene Kuss berührt ihn nach wie vor, die tote Braut taucht aus dem Nebel auf und immer wieder jene Fotos, die Franz seinerzeit von den Hochzeitspaaren gemacht hat. Auf jenen Fotos, das hat ihn immer schon fasziniert, haben die Frauen und Männer scheinbar für Sekunden vergessen, dass es für die Lösung der Lebensgleichung keine Formel geben wird.