Den Verrat, die Lüge, die Untreue, das doppelbödige Spiel, all das bekam John le Carré gleichsam als Hypothek, an der er wohl sein Leben lang trug, in die Wiege gewuchtet: Geboren wurde er am 19. Oktober 1931 in der südenglischen Grafschaft Dorset – der Heimat des Dichters Thomas Hardys – als David Cornwell, die Mutter verließ die Familie, als er fünf war. Sein Vater war ein Hochstapler, der zwischen erschwindeltem Reichtum und Gefängnis pendelte. An ihm, dem väterlichen Verräter, rieb sich der Sohn später in vielen seiner Bücher.

Dass John le Carré einen Berufsweg einschlug, in dem das Tarnen und Täuschen zum unverzichtbaren Rüstzeug wurde, ist möglicherweise auch verhaltenspsychologisch erklärbar. Jedenfalls „heuerte“ er nach einem Germanistikstudium als Agent beim Britischen Geheimdienst an – zum Top-Spion reichte es aber nicht. Zum Top-Autor, der den Spionage-Thriller, vormals eher Kellerkind, in die Beletage der Literatur hob, allerdings schon. Anfang der 60er-Jahre begann er mit dem Schreiben, der dritte Roman – „Der Spion, der aus der Kälte kam“ (1963) – brachte Le Carré den Durchbruch und die finanziellen Mittel, als Spion abzutreten.

Mit der Figur des George Smiley schuf John le Carré einen Agenten, der so gar nicht zu den gängigen Klischees dieser geheimnisumwitterten Desperados zwischen den Welten, Ideologien und politischen Systemen passte. Smiley hingegen – auch er betrogen und verraten, schmerzvollerweise von seiner eigenen Frau – ist ein desillusionierter Humanist, der an der Skrupellosigkeit seiner eigenen Branche leidet, der um die verschiebbaren Grenzen zwischen Gut und Böse weiß und ebenso darum, dass auch Meisterspione nur Menschen mit Stärken und Schwächen sind, die in brüchigen Parallelwelten überleben wollen.

Unschwer zu erraten, dass der Autor seinem George Smiley zumindest Teile seiner eigenen Seelen-DNA mit auf den Weg gegeben hat. „Einmal ein Spion, immer ein Spion“, hat Le Carré einmal in einem Interview gesagt. „Und ich weiß nicht, ob ich ein Schriftsteller bin, der Spion wurde. Oder ein Spion, der schließlich Schriftsteller wurde.“

Als Schriftsteller jedenfalls erlangte der Brite, der später zeitweise in Österreich und Griechenland lebte, Weltruhm. 1974 wurde sein Buch „Dame, König, Ass, Spion“ veröffentlicht, aus diesem Roman machte die BBC eine eigene TV-Serie. 1987 reiste Le Carré erstmals in die damalige Sowjetunion, erlebte dort die Anfänge des politischen Umbruchs und verarbeitete seine Eindrücke und Erfahrungen im Roman „Das Russlandhaus“.

Seine bekanntesten Romane, viele davon verfilmt, haben den Kalten Krieg zum Inhalt; doch mit heißem, aber nie schwarz-weiß malenden Schreiberherz hat sich Le Carré später auch anderen Themen zugewandt: den Verstrickungen der Finanzwelt, der organisierten Kriminalität in Russland, dem Israel-Palästina-Konflikt, den verbrecherischen Praktiken der Pharmakonzerne. „Verräter wie wir“, so der Titel eines Le Carré-Romans, trägt wohl auch seine Lebensphilosophie in sich: Der Verrat, er kennt weder Mauern noch Grenzen. 

Kritik zu seinem letzten Roman "Federball" (2019):

© Ullstein

Ein Spion mittleren Alters, eine diabolisch clevere Operation des russischen Geheimdienstes und eine niederträchtige Verschwörung - Fans von John le Carre kamen bei seinem jüngsten Roman "Federball" aus dem Jahr 2019 auf ihre Kosten. Doch darüber hinaus war es auch ein überaus aktuelles Buch: Es geht nicht einfach nur um Spionage, es geht um Spionage in Zeiten von Brexit und Trump.

Die Geschichte nimmt ihren Lauf, als Nat, ein britischer Geheimdienstler, der auf die 50 zugeht, nach vielen Jahren als Agentenführer unter diplomatischer Tarnung nach London zurückkehrt. Sein neuer Job in der Heimat fühlt sich an wie ein Abstellgleis. Ein Lichtblick sind Pläne, das Londoner Haus eines ukrainischen Oligarchen mit Russland-Kontakten zu verwanzen - und Nats Badminton-Spiele mit Ed, einem jungen Mann, der eines Tages scheinbar aus dem Nichts auftaucht und ihn zu einem Match herausfordert.

Beim Bier nach den Spielen macht Ed keinen Hehl aus seinen politischen Ansichten: Er glaubt, dass sich Großbritannien mit dem "beschissenen Chaos" des Brexits in uneingeschränkte Abhängigkeit von den USA begibt, und hält US-Präsident Donald Trump "für eine Bedrohung der gesamten zivilisierten Welt". Und Ed verspürt akuten Handlungsbedarf: "Entweder ist Europa am Arsch oder jemand mit Eiern in der Hose findet ein Mittel gegen Trump", verkündet er einmal. Das wird kein gutes Ende nehmen mit Ed, kommt dem Leser recht früh in den Sinn.

"Ich kann nur sagen, ich liebe dieses Buch, was nicht immer der Fall ist", sagte John le Carré beim Erscheinen des Romans. "Es würde mir nichts ausmachen, wenn es schlechte Kritiken bekäme. Ich habe einfach das Gefühl, dass es ein gutes Buch ist." Für ihn habe es die Frage aufgeworfen, was Überzeugungen in der heutigen Welt bedeuten: "Glaubt irgendjemand noch an irgendetwas?"

Zugleich ließ John le Carré schnell erkennen, wie sehr die wütenden Worte über Brexit und Trump sich mit seinen eigenen Überzeugungen decken. Er beklagte - wenn auch in etwas vornehmeren Worten als Ed im Buch - die "absolute Idiotie" von Trumps Handeln, das noch lange nachwirken wird, egal, ob es um Außenpolitik oder die Klimakatastrophe geht. Genauso wenig hielt er vom britischen Premier Boris Johnson, der "sofort gestoppt" werden müsse. "Er wird von denselben Impulsen wie Trump angetrieben. Er hat Narzissmus zu einer Kunstform gemacht." Johnson sei ein typisches Produkt der Elite-Hochschule Eton, in der Studenten nicht beigebracht werde, zu regieren, sondern nur gewinnen zu wollen. John le Carré hatte in den 1950er-Jahren einige Zeit in Eton unterrichtet.

Die einzige Hoffnung sei ein Aufbegehren der Anständigen, glaubte der 88-Jährige. "Das Problem mit unserer aktuellen Situation in Großbritannien ist, dass die anständigen Menschen keine Stimme gefunden haben. Wir haben keine erkennbare Führungsfigur." Wenn es jetzt ein neues Referendum gäbe, deute vieles darauf hin, dass sich die Mehrheit für einen Verbleib in der Europäischen Union entscheiden würde. "Also sind es Machtspiele gegen den Willen des Volkes", betonte der Autor, der ein überzeugter Europäer war und sich im Vorjahr einen irischen Pass besorgte - die Herkunft der Großmutter väterlicherseits machte es möglich. "Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich darüber nachgedacht, woanders zu leben."

Le Carré hätte in einer alternativen Zeitlinie auf Nats Stelle als ausrangierter Agentenführer ankommen können. Doch der Verrat des russischen Schläfers Kim Philby, der Moskau praktisch die gesamten Interna des britischen Geheimdienstes lieferte, torpedierte seine Spionage-Karriere - zugleich konnte er sich nach dem Erfolg von "Der Spion, der aus der Kälte kam" mit Mitte 30 als Schriftsteller unabhängig machen. Le Carre verwandelte mit der Figur des widerwilligen Meisterspions George Smiley das Genre. Nach dem Ende des Kalten Krieges prangerte er in seinen Büchern immer wieder Missstände im Westen an, wie Korruption oder Menschenrechtsverletzungen im "Krieg gegen den Terror".

In der heutigen Lage sah er die Spione von den politischen Wirren gelähmt. "Man kann keinen Geheimdienst ohne politische Führung der Regierung betreiben." Wenn etwa der britische Auslandsgeheimdienst MI6 zum Beispiel eindeutige Beweise für eine Verstrickung Trumps mit den Russen finden sollte - was würde damit passieren? "Die heutige Regierung will auf keinen Fall die Gunst der USA verlieren." Und weiter: "Würde man solches Material also an die CIA weitergeben? Oder für sich behalten?"

John le Carré. Federball, Ullstein Verlag, übersetzt von Peter Torberg, 352 Seiten, 24 Euro.