Zum Abschluss der elften Europäischen Literaturtage in Krems an der Donau ist die italienische Autorin FrancescaMelandri am Sonntag im Klangraum Minoritenkirche mit dem Ehrenpreis des Österreichischen Buchhandels für Toleranz in Denken und Handeln ausgezeichnet worden. Die in Rom geborene Schriftstellerin ist die 29. Trägerin des mit 10.000 Euro dotierten Preises.

"Francesca Melandri entfaltet in ihren Geschichten ein Bild Europas, wie es viele nicht kannten. Sie verknüpft die Vergangenheit des Kontinents mit der Gegenwart und die geografischen Ränder mit seiner Mitte. Sie trägt zu einem neuen und besseren Verständnis der unterschiedlichen Kulturen und Gesellschaften Europas bei und ist damit eine prädestinierte Empfängerin des Ehrenpreises", lautete die Begründung der Jury.

Melandri, geboren in Rom, hat sich in Italien zunächst als Autorin von Drehbüchern für Kino- und Fernsehfilme einen Namen gemacht. Mit ihrem ersten Roman "Eva schläft" wurde sie auch einem breiten deutschsprachigen Lesepublikum bekannt. Ihr zweiter Roman "Über Meereshöhe" wurde von der italienischen Kritik als Meisterwerk gefeiert. Ihr drittes Buch "Alle, außer mir" (2018 aus dem Italienischen von Esther Hansen, Wagenbach Verlag) stand zehn Wochen lang auf der "Spiegel"-Bestsellerliste.

Benedikt Föger, Präsident des Hauptverbandes des Österreichischen Buchhandels, gratulierte und zeigte sich davon überzeugt, dass sich die Toleranz einer Gesellschaft in ihrer Kultur erweise. Auch Landesrat MartinEichtinger (ÖVP) meinte in seinen Grußworten, Literatur schütze vor Oberflächlichkeit und Intoleranz. Melandris Werk bilde dabei einen "Beitrag für ein kulturelles und essenzielles Miteinander".

Große historische und politische Themen würden in Melandris Romanen als Familiengeschichten beschrieben, erklärte Laudatorin Helena Janeczek, selbst im Vorjahr mit dem Premio Strega ausgezeichnet. Die Familie bilde Grenzland, Konfliktgebiet und Kampfzonen ab. Die Entscheidung darüber, ob wir die Türen offen halten oder zuschlagen wollen, liege stets bei uns, schloss Janeczek.

Die Preisträgerin erklärte in ihrer Dankesrede, das "Mysterium des Lesens" sei - wie auch alle menschlichen Beziehungen - nie zur Gänze verstehbar. Buchhändler bezeichnete sie als "Priester zwischen Buch und Leser" wie bei einer Hochzeit, und Übersetzer sieht Melandri als "magische Helden der Menschheit", denn sie bauen erst die Brücken zwischen den Sprachen. Ihnen widmet Melandri ihre Auszeichnung.

Im folgenden Gespräch mit Katja Gasser (ORF) verglich Melandri auch die Tätigkeit des Schreibens mit dem Vorgang des Übersetzens, der Autor fungiere dabei als eine Art Medium. Als "Schöpfer" von Figuren und Personen eines Romans müsse man tiefe Empathie für alle aufbringen - nicht immer für deren Handlungen, aber für deren "Menschsein". Dummheit, so Melandri, werde über- und auch unterschätzt, sie beruhe jedenfalls auf Unverbundenheit, "ein nackter Zweig ohne Früchte".

Viel Lob hatte Melandri auch für die Europäischen Literaturtage bereit, an denen sie in den vergangenen Tagen teilgenommen hat. Rund 35 internationale Schriftsteller und Literaturexperten hatten sich in Krems zur Begegnung mit einem interessierten Publikum eingefunden. Die 12. Europäischen Literaturtage finden von 19. bis 22. November 2020 - wieder in Krems - statt.