Die Gäste kommen gleichzeitig mit dem Briefträger, der die Journalisten in der Allee, die zum schmiedeeisernen Tor führt, lässig mit dem Rad überholt. Spätes Herbstlicht fällt durch die hohen Zypressen. Peter Handke steht am Eingang seines Hauses in Chaville bei Paris und fragt tadelnd nach dem Grund der knappen Verspätung. Seit Jahren mahne die Post, der Hausherr möge einen größeren Briefkasten anschaffen. Jetzt, nach der Zuerkennung des Nobelpreises, gebe es vielleicht allen Grund dafür, sagt er nicht ohne Ironie.

Es sind Briefe aus ganz Europa. Glückwünsche, auch ein Bleistifthalter aus Wien ist darunter, den der Adressat zuerst misstrauisch („ein Sprengsatz?“) im Kuvert ertastet. Man wisse nie. Auf dem Bücherstapel am Wohnzimmertisch die neue CD des Melancholikers Van Morrison. Handke liest die Titel der Songs vor und einen mit Betonung, beiläufig oder nicht: „Fame Will Eat the Soul“, der Ruhm als Menschenfresser.

Trapezakt ohne Netz

Es sind erste Eindrücke eines Trapezaktes ohne Netz. Das Gespräch gleicht zwischendurch dem Tanz auf einer Rasierklinge. Im großen Gesprächszyklus der vergangenen Jahre blieb das Thema Jugoslawien bewusst ausgeklammert. Dort, wo es kurz anklang, lief es rasch aus dem Ruder, begleitet von Bezichtigungen. Die Mechanik von Reiz und Gegenreiz schien fruchtlos und erkenntnisarm.

Jetzt aber, da im Nachhall des Nobelpreises der alte Konflikt neu auflodert, unerbittlicher als je zuvor, lassen sich Ton und Charakter der vorherigen Begegnungen nicht länger aufrechterhalten. Handke selbst fordert die Besucher heraus und fragt beinah inquisitorisch nach dem Gelesenen. Ungehalten holt er einen Band hervor, der alle Schriften zu Jugoslawien enthält, und liest daraus. Passagen über seine Besuche in Srebrenica, dem Ort des Massakers an Tausenden bosnischen Muslimen, doch die Stellen handeln von Verbrechen an serbischen Zivilisten. Sie gingen dem Genozid in den Nachbardörfern voran.

Protestierende Mütter von Opfern serbischer Gräuel in Bosnien. Handke erwägt, ihnen einen Teil seines Preisgeldes zu stiften
Protestierende Mütter von Opfern serbischer Gräuel in Bosnien. Handke erwägt, ihnen einen Teil seines Preisgeldes zu stiften © ELVIS BARUKCIC / AFP / picturede

"Soll ich weiterlesen?"

Zwischendurch blickt er forsch auf: „Soll ich weiterlesen?“ Ein erster Einwand: Ist es ein erneuter Versuch der Relativierung? Handke widerspricht im Zorn. Auch dieses Wort sei vergiftet wie das Reden, vor allem das Reporterreden. Das Wort meine fälschlich Gleichsetzung, wo es doch um das „In-Beziehung-Setzen“ gehe, nicht um die „Absolutkeule“. Der Umfehdete leugnet Srebrenica nicht, aber er besteht darauf, auch die Vorgeschichte zu erzählen, die für ihn unterschlagene. Für die Betroffenen ist das, wie die Proteste zeigen, unannehmbar. Das wird sich auch beim Festakt zeigen.

Eine Lebenswunde bleibt der Konflikt auch für Handke, selbst wenn er es im Gespräch so nie einbekennt. Und doch räumt er ein: „Es setzt mir zu.“ Vor allem die Nachmittage seien schwer und düster, Engstellen nennt er die Momente. Gern würde er sich stellen, wüsste er nur, wie. Die Festrede ist geschrieben, ein Sich-Erklären wird sie nicht sein. So viel verrät er erstmals, aber auch, dass er mit einem Teil des Preisgeldes die Herausgabe seiner Schriften zu Jugoslawien für Bosnien finanzieren wolle. Also doch ein Sich-Erklären. Auch trägt er sich mit dem Gedanken, Mütter beider noch immer verfeindeter Volksgruppen, die im Krieg Söhne verloren haben, zu unterstützen. Aber es hemmen ihn Zweifel: „Ist es Kitsch?“


Peter Handke ist sich seiner Isolation und Einsamkeit bewusst, und doch hält er fest am Geschriebenen: Es sei universell und nicht denunzierbar. Er habe sich im Leben mitunter verirrt, aber nicht in der Literatur. Jedenfalls habe er „ein Geschick“. Das könnten nicht viele von sich behaupten. „Ich bin der glückliche Mensch mit einem Geschick. Was wollten Sie noch Bedeutendes fragen?“