Das in Goldlettern geschriebene und reich illustrierte Evangeliar des Johannes von Troppau gilt als Geburtsstunde der Nationalbibliothek. Warum eigentlich?
JOHANNA RACHINGER: Wir haben keine Gründungsurkunde, sondern einen Gründungscodex, und das ist eben dieses Evangeliar des Johannes von Troppau, das vom Habsburger Herzog Albrecht III. in Auftrag gegeben und 1368 fertiggestellt wurde. Diese Prachthandschrift wurde als erstes Werk in die Habsburgischen Sammlungen aufgenommen und wird in der gesamten Geschichte der Bibliothek als der Gründungscodex angesehen.

650 Jahre Nationalbibliothek: "Schatzkammer des Wissens"

Zum Jubiläum 650 Jahre Nationalbibliothek, das unter dem Motto „Unsere Geschichte lebt“ steht, gibt es heute einen offiziellen Festakt. Was ist denn davon zu erwarten?
Wir bespielen das gesamte Jubiläumsjahr mit einer Fülle von Veranstaltungen, weil wir der Meinung sind, dass man nicht nur mit einem einmaligen Festakt so eines Jubiläums gedenken soll, sondern dass es viele Möglichkeiten für die Bevölkerung geben sollte, unser Haus von verschiedensten Seiten kennenzulernen. Aber ein Festakt stellt immer einen Höhepunkt dar und gibt dem Ganzen eine besondere Note. Darüber hinaus haben wir mit der bekannten Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann eine hochkarätige Festrednerin eingeladen, die sich mit den Themen kulturelles Gedächtnis, Erinnern und Vergessen auseinandersetzen wird.

Die gemeinsam mit Google praktizierte Digitalisierung von rund 600.000 urheberrechtsfreien Büchern, die bei der Ankündigung von Autorenverbänden kritisiert wurde, geht nunmehr ins Finale. Was kommt als Nachfolgeprojekt?
Wir freuen uns sehr, dass wir dieses wirklich ambitionierte und umfangreiche Projekt mit Google heuer zeitgerecht abschließen können. Es handelt sich um die größte Public-Private-Partnership, die es im Kulturbereich jemals gab. Nachdem das so gut gelaufen ist und wir auch unzählige positive Rückmeldungen von Wissenschaftlern und Forschern aus dem In- und Ausland erhalten haben, sind wir mit Google im Gespräch, unsere erfolgreiche Zusammenarbeit weiter fortzusetzen.

Seit Jahren weisen Sie auf Platzprobleme und die Notwendigkeit des Ausbaus des Tiefenspeichers hin. Durch die Absiedlung des Parlaments in die Hofburg und auf den Heldenplatz gilt ein temporäres Bauverbot. Wie prekär ist die Platznot?
Den Bücherspeicher Heldenplatz hatten wir schon im letzten Regierungsübereinkommen als umzusetzendes Projekt drinnen. Durch den Umzug des Parlaments in Pavillons auf dem Heldenplatz sind dort Bauarbeiten – zumindest bis zur Rückübersiedlung des Parlaments im Jahr 2022 – nicht möglich. So lange können wir nicht mehr warten. Wir stehen in Verhandlungen und werden zwischenzeitlich auf Mietdepots am Stadtrand ausweichen.