Es gab bisher wohl kein Jahr, in dem Jörg Piringer sich besser als Kandidat für den Bachmann-Preis geeignet hätte als heuer, bei der ersten rein digitalen Ausgabe des Lese-Wettbewerbs. Der 1974 geborene Wiener ist Spezialist für poetische Software und visuelle Poesie und daher in der virtuellen Welt zuhause. "Ja, das passt jetzt natürlich gut", schmunzelt er, "aber so geplant war's nicht."

Als er seinen Einreich-Text geschrieben hat, war von einer Verlagerung der von 17. bis 21. Juni stattfindenden Veranstaltung in den digitalen Raum noch keine Rede. Da sei von der Coronakrise in Europa noch nicht viel zu merken gewesen, erzählt Piringer, der von Nora Gomringer, Bachmann-Preisträgerin des Jahres 2015, eingeladen wurde. "Es geht darin um die Diskrepanz zwischen Text und Technologie, Autorschaft und Maschine", verrät er. Gelesen wird allerdings ohne technische Verfremdung. "Ich arbeite generell so, dass ich versuche, verschiedene Medien auszuloten. Das ist eben das Digitale, das Video, das Hörspiel, aber das kann auch der reine Text sein, der einfach nur vorgelesen wird."

Dass es auch anders geht, beweist nicht nur seine Homepage, sondern auch sein "Autorenvideo" für den Bachmann-Preis, wo er u.a. zeigt, auf wie viele unterschiedliche Arten ein "Ich" sich vorstellen kann. Dieses Ich wird bei seiner Lesung nicht künstlich verändert, doch der Text weist eine Besonderheit auf: "Ein kleiner Teil davon ist nicht von mir selbst geschrieben, sondern von einer Maschine." Geschrieben wurde das Programm dafür freilich von Piringer.

Seine Lesung des Textes, die im Gegensatz zu der via Skype geführten Jury-Diskussion nicht live ausgestrahlt wird, wurde in Piringers vor einem halben Jahr bezogenen Atelier des Bundes in Wien-Ottakring aufgenommen. Hier hat der Absolvent eines Informatik-Studiums, der auch Gründungsmitglied des "Ersten Wiener Gemüseorchesters" und des Künstlerkollektivs "Institut für transakustische Forschung" ist, in den kommenden Jahren Platz und Möglichkeit, an seinen Projekten an der Schnittstelle von Kunst und Technologie, Sprache und bildender Kunst, Musik und Performance zu arbeiten. Ein 3-D-Drucker ist schon aufgestellt, der Installation eines Projektors an der Decke des zehn Meter hohen Raumes kam der Corona-Shutdown dazwischen.

Corona sorgte auch für die Absage einiger Auftritte. Piringer war daraufhin beim Aufbau der Plattform "Echoräume" für Musiker und Performancekünstler beteiligt. "Das funktioniert gut, weil das etwa Leute in den USA genauso sehen können, aber natürlich ist es auch problematisch. Einerseits ist es ein bisschen reduziert und man kann einfach nicht alle Dinge auf einem Computerbildschirm machen, die man in einem realen Raum machen könnte. Und es ist auch eine gewisse Gefahr, dass es als eine Art Kostenersparnis wahrgenommen wird." "Echoräume" hat auch einen geschützten Backstagebereich, in dem sich Künstler abseits der Bühne austauschen können. "So etwas wäre heuer auch für den Bachmann-Preis eine gute Idee, denn natürlich geht es bei einer solchen Veranstaltung ja auch darum, sich nachher zusammenzusetzen, zu reden und sich auszutauschen."

Mit dem traditionellen Literaturbetrieb hat Jörg Piringer bisher nicht übermäßig viel zu tun gehabt, doch immerhin ist sein bisher einziges gedrucktes Buch, "Datenpoesie" (erschienen 2018 im Ritter Verlag), seit wenigen Tagen auch in englischer Übersetzung ("data poetry", erschienen im US-Verlag Counterpath Press) erhältlich. "Darin geht es dezidiert um Experimente mit digitaler Sprachtechnologie. Normalerweise würde man ein Buch einfach von einem professionellen Übersetzer übersetzen lassen. In meinem Fall war das nicht möglich. Diesmal war die Aufgabe, die Computerprogramme so zu übersetzen, dass sie statt Deutsch einen englischen Output liefern." Ist er dann überhaupt noch im klassischen Sinn der Autor des Textes? "Das ist eine alte Frage, aber im Grunde stehen wir ja bei allem, was wir schreiben, auf den Schultern von anderen Sprechenden oder Schreibenden. Und ganz ohne menschliches Zutun funktioniert eine Maschine immer noch nicht. Im Fall meines Buches ist sie jedenfalls stark von mir beeinflusst."

Warum stellt sich jemand, der etwa an der "Schule für Dichtung" moderne Methoden unterrichtet hat, die traditionellen Grenzen der Literatur zu sprengen, einer vergleichsweise konventionellen Veranstaltung wie dem Wettlesen um den Bachmann-Preis? "Das war ein bisschen eine Herausforderung für mich, das mal zu probieren. Ich war natürlich über Jahre Rezipient des Ganzen und wollte einfach schauen, ob's klappt. Und natürlich ist es eine Bühne für etwas, von dem ich glaube, dass es interessant und wichtig ist. Ich bin ja nicht der Einzige, der so arbeitet, habe aber das Gefühl, dass das im Literaturbetrieb unterrepräsentiert ist. Wenn mehr darüber nachgedacht wird, hätte ich schon etwas mit meinem Antreten erreicht."