Der Begriff „Dauerzustand“ hat keinen sonderlich guten Ruf. Wollten Sie diese negative Zuschreibung mit „Neues vom Dauerzustand“ umdrehen?
PORKY: Dauerzustand kann allerdings auch bedeuten: „Wir sind immer noch die Geilsten“. Aber es ist wahr, gute Dauerzustände sind selten. Selbst eine durchgängige Erregung wird dich irgendwann quälen.
La Perla: Ich finde den Titel sehr ehrlich. Dauerzustand steht für etwas Zermürbendes. Und zermürbend waren die letzten drei Jahre ohne Zweifel.
KRYPTIK JOE: Wir sind als Jugendliche einmal angetreten, um die Welt, zumindest aber ein paar Dinge um uns herum zu verändern. Und nicht, um im Dauerzustand zu verweilen. Von daher ist der Titel des neuen Albums schon auch ein bisschen zynisch gemeint.

Wieso zynisch?
KRYPTIK JOE: Naja, früher hast du gedacht: „Ich will die krassesten Sachen machen“. Dann bist du Ende 40, ein Kapuzenpulli tragender Berufsjugendlicher und bringst dein achtes Album heraus. Dann zu sagen, „Es ändert sich nichts“ oder „Es soll sich auch gar nichts ändern“, das hat eine zumindest leicht zynische Note.

Das Älterwerden ist ein Thema auf der neuen Platte. Die Single „Kids in meinem Alter“ etwa ist ein liebevoll sarkastischer Blick auf die vermeintlichen Alles-Durchblicker Eurer Generation.
LA PERLA: Dieses ganze Jugendding ist ein Riesenthema. Früher war man froh, alt zu sein. Und an der Uni hatte man noch Ehrfurcht vor dem ehrenwerten Herrn Professor. Das hat sich alles komplett umgedreht. Heute wollen alle, egal, wie alt sie sind, bei den Jungen mitmischen – getrieben von der Angst, dass der Tod anklopft.
Könnt Ihr selbst denn loslassen, die Jugend zum Beispiel?
KRYPTIK JOE: Es wäre irgendwann sehr anstrengend, würden wir eine Rolle von uns selbst spielen, so wie wir vor 15 oder 20 Jahren waren. Wir schauen lieber, dass der Blick, den wir auf die Gesellschaft haben und den wir mit den Menschen teilen, zeit- und altersgemäß ist. Dass wir die Nachwachsenden nicht immer erreichen mit unserem Blick, das müssen wir hinnehmen. Trotzdem freuen wir uns, wenn die Jugend unsere Sicht auf die Welt teilt.
LA PERLA: Mit jedem Album müssen wir unsere Rolle neu finden und justieren. Wir sind notorische Zweifler, aber zumindest wissen wir, dass wir nicht dafür da sind, mit unseren Singles die Charts zu stürmen. Die Pop-Hits sollen die anderen machen. Uns gelingt das sowieso nicht so gut. Deichkind steht für eine gewisse Weirdness, für das Andere.

Spätestens bei Euren grellen Liveshows ist das Alter sowieso egal. Auf der Bühne seid Ihr ein bisschen wie Kiss, oder wie seht Ihr das?
LA PERLA: Das sehen wir auch so. Wir haben immer schon darauf geachtet, dass der Einzelne bei der Vermarktung von Deichkind nicht so sehr im Vordergrund steht. Ich selbst bin schon seit Jahren gar nicht mehr auf der Bühne, das hat nur keiner gemerkt. Wenn in Zukunft jemand von uns nicht mehr will oder kann, wird einfach ein neuer Darsteller angelernt, das hat was von den Harlem Globetrotters. Wenn wir keinen mehr interessieren sollten, wollen wir uns nicht aufdrängen, aber nach diesem Prinzip könnte Deichkind sogar irgendwann ohne uns weiterexistieren. Es geht nicht um den Einzelnen, es geht um die Idee und um die Inhalte.
Habt Ihr Deichkind in der Coronazeit infrage gestellt?
LA PERLA: Als während der Coronapandemie plötzlich verkündet wurde, dass Kunst, Kultur und Musik nicht systemrelevant seien, hat das schon heftig an unserem Selbstbild gerüttelt. Wir sind es gewohnt, auf einer Bühne zu stehen und Applaus zu bekommen. Plötzlich war das vorbei. Auf einmal stand diese Unsicherheit im Raum. Wir wussten nicht, wie wir uns definieren sollten. Was macht der Hofnarr in der Krise?

Albumkritik

Mit gewohnt genial-subversiven Dada-Reimen, unterlegt von wummernden Hip-Hop-Electroklängen, nimmt Deichkind eine Welt ins Visier, die in arge Schieflage geraten ist. Klimakrise, Jugendwahn, Bobo-Schnöseltum, kulturelle Aneignung, Querquassler, alle bekommen ihr Fett ab. Die Songs sind tanzbar, die hinterlistigen Texte verleiten zum Schmunzeln. Besungen wird ein Tanz auf dem Vulkan, und wer genau hinhört, dem könnte bald das Lachen vergehen. Die Hofnarren sind in Hochform! Bernd Melichar

© KK

Albumtipp: Deichkind. Neues vom Dauerzustand. Universal.