Die Sehnsucht vieler Menschen nach ihrem alten Leben ist im Lockdown groß. Werden wir jemals in den Zustand vor dieser Pandemie zurückkehren?
AILEEN MOECK: Nein, das glaube ich nicht. Wir haben bemerkt, dass wir in vielen Bereichen gar nicht mehr so weitermachen dürfen wie bisher. Und: dass das coronabedingt Neue vielleicht gar nicht so schlecht ist.


Woran denken Sie da?
Das Thema Homeoffice zum Beispiel: Vielleicht ist es keine Lösung, dass künftig alle fünf Tage die Woche von zu Hause aus arbeiten, aber für viele hat das eine Flexibilisierung ihrer Arbeit gebracht, die vielleicht bleibt. Auch in puncto Reisen haben wir gesehen, dass es der Natur guttut, wenn wir darauf verzichten. Das zieht vielleicht Verhaltensveränderungen wie zum Beispiel bei Inlandsflügen nach sich.


Das klingt alles sehr positiv.
Corona ist ein „Zukunftsbeben“. So nennen wir in der Zukunftsforschung ein unvorhersehbares Ereignis, das uns im linearen Sein und Fortschritt-Optimismus erschüttert. Solche Beben gab es schon viele, wie etwa Tschernobyl oder 9/11. Diese Pandemie bedeutet Verlust und Umdenken und fordert große Veränderungen von uns. Aber wir werden uns neu strukturieren und orientieren.


Atomkraft gibt es immer noch?
Ja, aber seit Tschernobyl haben wir in Europa eine andere Sensibilität für das Thema entwickelt. Wir sind offener für Themen wie erneuerbare Ressourcen und andere Energiequellen.

Mitbegründerin von "Die Zukunftsbauer": Aileen Moeck
Mitbegründerin von "Die Zukunftsbauer": Aileen Moeck © Moeck


Was lehrt uns denn Corona?
Es ist uns das erste Mal so richtig bewusst geworden, dass wir in einer Globalität leben. Das bedeutet: Wir müssen wieder regionaler werden – bei all dem Wissen um das Leben in der globalen Welt. Trotz Verbundenheit haben wir uns entfremdet. Das Regionale muss wieder im Vordergrund stehen: bei Ernährung, Ökologie oder Politik. Und wir haben festgestellt, was die Maschine alles nicht kann: empathisch sein, Menschen pflegen, Beziehungsarbeit leisten. Für diese Berufe braucht es mehr Wertschöpfung.


Sind die Jungen die Verlierer dieser Krise?
Jede Generation muss aktuell Abstriche machen. Die Jungen sind Verlierer, weil sie noch nicht so viel Resilienz aufbauen konnten wie meine Großeltern. Und weil man sich in der Jugend in Leichtigkeit üben sollte. Das haben viele ohnehin nicht getan, weil sie sich für den Klimawandel verantwortlich fühlen und glauben, sie müssen sich um die Probleme kümmern, die die Erwachsenen nicht hingekriegt haben.


Vor dem Hintergrund der Krise: Warum braucht es die Zukunftsforschung?
Zukunftsforschung oder Zukunftswissenschaft hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg als wissenschaftliche Disziplin entwickelt. Damals ging es in erster Linie darum, Daten zu analysieren, um daraus Ableitungen und Strategien für eine bessere Entscheidungsfindung zu entwickeln. Zuletzt ging es stark um das Erkennen von Trends und Mustern, um Prognosen zu treffen. Die junge Zukunftsforschung orientiert sich gar nicht so sehr an der externen Welt, sondern daran, dass wir Dinge gestalten können. Sie vereint viele Disziplinen und will Orientierungswissen schaffen und aufzeigen, wie man zukunftsgerichtet und offen denken kann. Wir driften schnell ins lineare Denken ab. Eigentlich müssten wir lernen, in Alternativen zu denken und diese zu visualisieren.


Können Sie das konkretisieren?
Indem wir Glaubenssätze verändern und neue Narrative formulieren. Also weg von der Frage „Wie wird die Zukunft“ gehen und stärker hin zu: „Wie wollen wir, dass die Zukunft wird?“ „Integral Futures“ nennen wir das. Der Fokus liegt stärker auf dem Inneren, den Werten und der Kraft der Bilder. Science-Fiction hat gerade ein Revival, weil Bilder und Sprache stark Einfluss darauf nehmen, wie sich Gesellschaften und Innovation entwickeln.


Salopp gesagt: Sei mehr wie Pippi und bau’ dir deine Welt!
Ja. Es geht darum, die Wünschbarkeit in den Vordergrund zu stellen und daraus Ableitungen zu formulieren, wie: Wenn wir möchten, dass die Welt in zehn Jahren so aussieht, welches Gesetz brauchen wir dazu in fünf Jahren und welchen Antriebsmotor in drei Jahren dafür. Man geht rückwärts ins Heute.


Ist es nicht zynisch, sich eine positive Zukunft auszumalen, wenn aktuell viele Menschen mit Arbeitslosigkeit kämpfen?
Es gibt viele Studien, die zeigen, was Glück und Zufriedenheit ausmachen. Die Hoffnung ist ein wichtiger Aspekt. Ohne ein Gefühl von Hoffnung haben wir schon verloren. Es wäre an der Zeit von Wirtschaft und Politik, positive Zukunftsbilder zu schaffen, die den Menschen jetzt einen Anker geben. Studien belegen: Unser Gehirn steuert automatisch auf die negativen Nachrichten zu und es fällt ihm viel schwerer, die positiven Dinge zu sehen und wertzuschätzen. Wir haben eine Disbalance im Kopf und müssen uns aktiv bemühen, dem Wünschbaren Raum zu geben.


Welches Bild hilft Ihnen denn?
Wir sind mitten in einer Umbruchphase. Corona ist ein Triggerpunkt, aber es hat schon viel länger unter der Oberfläche gebrodelt – wenn man etwa die Themen Klimakrise, Industrialisierung, Rassismus betrachtet. Für eine Transformation haben wir zehn Jahre Arbeit vor uns: Wenn wir es schaffen, uns als Gesellschaft neu aufzustellen, mit Mitmenschen und Ressourcen anders umzugehen, können wir am Ende vielleicht mehr Zugang zueinander und zur Natur finden. Das gute Anthropozän – das ist unser Zielbild.