Vor fünf Jahren gab die Metropolitan Opera in New York bekannt, dass man darauf verzichten werde, den Sänger von Verdis Otello schwarz zu schminken. Die Opernkompagnie reagierte damit auf tausende Protestmails gegen das Blackfacing, das Erinnerungen an die rassistische Verhöhnung von Afroamerikanern in sogenannten Minstrel-Shows weckte. Auch in der letzten „Otello“-Produktion an der Wiener Staatsoper 2019 sah man davon ab, den Darsteller schwarz anzumalen.

Es gehört zwar viel Ignoranz dazu, den Unterschied zwischen Verdis Oper und den alten Minstrel-Musikshows zu übersehen. Blackfacing ist dort ein Instrument des Spotts, um die Karikierten zu erniedrigen. Feldherr Otello dagegen ist kein Stereotyp, sondern bewunderter Kriegsheld, komplexer Charakter. Natürlich ist der Rassismus ein zentraler Aspekt von Shakespeares Drama „Othello“ (1604) und Verdis Oper „Otello“ (1887). Der Titelheld ist einer, der nicht dazugehört. Sein Minderwertigkeitskomplex macht ihn zum leichten Ziel von Jagos Eifersuchtsintrige. Seine Frau Desdemona ist Otellos einzige Verbindung zur Gesellschaft, deren militärisches Werkzeug er ist, von welcher er aber insgeheim verachtet wird. Der vermeintliche Treuebruch Desdemonas zerstört diese Verbindung, Otello ist nicht bloß Gehörnter, sondern ein Verstoßener, der sich mittels Mordes am falschen Ziel rächt.

Obwohl Shakespeare und in seiner Nachfolge Verdis Textdichter Arrigo Boito die Mechanismen des Rassismus’ hellsichtig analysieren, ist ihre Figur nicht nur Opfer des Rassismus, die literarische Konzeption selbst ist nicht frei davon. Otello ist ein impulsiver Gefühlsmensch, der sich aus Verzweiflung in Gewalt flüchtet. Seine Emotionen werden nicht von der Vernunft in Zaum gehalten. Er entspricht damit dem Prototyp des „schwarzen Mannes“, des Wilden, über den der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel vor 200 Jahren schrieb, dass er aus dem „südlich der Sahara gelegenen Kinderland“ komme, das „jenseits des Tages der selbstbewussten Geschichte in die schwarze Farbe der Nacht gehüllt ist.“ Ein Landstrich mit Individuen, deren „Benehmen die gedankenloseste Unmenschlichkeit und ekelhafteste Rohheit“ zeigt. Wir haben hier das Paradigma vom halb fertigen Unter-Menschen vor uns liegen, das später den Rassenwahn ermöglichte und bis heute in den nur scheinbar harmlosen rassistischen Klischees von rhythmusbegabten, fröhlichen Schwarzen nachlebt.

Es sind Stereotype, die auch auf der Opernbühne präsent waren. Die US-Amerikanerin Grace Bumbry war 1961 die erste dunkelhäutige Sängerin bei den Wagner-Festspielen in Bayreuth. Dass sie dort ausgerechnet das erotische Ur-Weib Venus im „Tannhäuser“ verkörperte, ist ein Beleg dafür, wie rassistische Phantasmen auf subtilere Weise fortbestehen.

Das eingangs erwähnte Beispiel zeigt den bis heute linkischen Umgang mit dem Thema. Auf der einen Seite findet man eine reflexartige Verteidigung von Kunst, die man nicht angetastet wissen will und wo jede Diskussion beendet werden soll, noch bevor sie angefangen hat. Auf der anderen Seite stehen Debatten über den Hautton des Otello-Interpeten Jonas Kaufmann auf der Bühne und am Cover seiner neuen Aufnahme.

Der „Tenorissimo“ aus Bayern hat jetzt seine Traumpartie eingespielt (siehe Kurzkritik oben). Da ließe sich die Rassismusdebatte leicht ausblenden, aber es wäre grundfalsch, sie als Störgeräusch wahrzunehmen, das den Genuss eines Meisterwerks schmälert. Im Gegenteil: Gerade weil uns „Otello“ eine Reflexion über die Mechanik des Rassismus und latente Rassismen unserer Kunstwerke und deren Geschichte abnötigt, wird das Werk nur wertvoller. Ganz zu schweigen von weiteren Ambivalenzen: Könnte der Fremde auch Projektionsfläche des eigenen Begehrens sein, das durch Zerstörung gebannt werden soll? Oder es eine Figur, deren Andersartigkeit nicht nur Hass, sondern auch Sehnsucht evoziert? (Bei Shakespeare ist Jagos Motiv der blanke Sexualneid.). Ist Otellos Hautfarbe für ihn auch Quelle des Stolzes, die er performativ nutzt?

Die Frage nach der Farbe wird sekundär, wenn sich eine Inszenierung auf diese und weitere Fragen einlässt, den Willen hat, sie zu stellen. Es ist eine Verantwortung gegenüber der Kunst und den Menschen, vor der sich Sänger, Regisseure und Musiker nicht drücken können.