Bad Ischl als Kulturhauptstadt? Aber natürlich! Besser hätte man es kaum treffen können, ist doch das Salzkammergut seit Jahrhunderten, wenn nicht Jahrtausenden ein Kulturraum, geprägt von Salz und Wasser – wie auch das Motto der Bewerbung lautet.

Meine persönliche Geschichte mit dem Salzkammergut beginnt in den Sechzigerjahren, als mein Vater sowohl eine Mühle in Schwanenstadt – am nördlichsten Rand des Salzkammerguts – als auch eine Frühstückspension in Bad Aussee besaß. Wenn er wieder einmal nach Aussee aufbrach, dauerte die Fahrt meist fünf bis sechs Stunden. Nicht nur, weil es keine einzige Umfahrungsstraße gab und der Weg sowohl am Stadttheater in Gmunden als auch am Lehartheater in Bad Ischl vorbeiführte; sondern vor allem, weil mein Vater alle Bäcker aufzusuchen pflegte, die Kunden waren und deren Betriebe am Weg lagen.

So lernte ich das Salzkammergut bereits als Kind von vielen Seiten kennen. Denkt man an die Vergangenheit, erinnert man sich einerseits an die Geschichte der einfachen Menschen, die von Holzarbeit und der Arbeit im Bergbau geprägt waren, andererseits an die der Habsburger, die, obwohl konträr, doch eng miteinander verwoben waren, vor allem, seit die Kaiserfamilie 1853 die Kaiservilla in Bad Ischl erwarb. Man denkt an den Protestantismus, der im Salzkammergut Tradition hat, auch bereits vor dem Toleranzpatent von 1781, das den Protestanten ihre Religionsausübung erlaubte.

Ein weiteres Indiz für die Widerspenstigkeit der Salzkammergutler ist die Tradition der Wilderei. Besucht man die Kaiservilla, wird einem unmissverständlich vor Augen geführt, was der Grund für den Wilddiebstahl war, denn an den Wänden hängen Abertausende Jagdtrophäen. Die Bevölkerung wilderte aus purer Not, während sich die Adeligen das Recht herausnahmen, alles abzuschießen, was ihnen vor den Lauf kam.

All das war prägend für die Kultur des Salzkammerguts, die sich bis in die Gegenwart in Kleidung, Brauchtum und Musik einzigartig darstellt. Heute ist die Situation freilich eine andere, denn der Tourismus spielt eine große Rolle im Salzkammergut, wenn auch nicht eine so dominierende wie in manchen anderen alpinen Regionen. Fragen, die mit sanftem, mit Massen- und Übertourismus wie beispielsweise in Hallstatt zu tun haben, sollen auch im Kulturhauptstadtjahr thematisiert werden. Dennoch hat der Tourismus im Salzkammergut eine etwas andere Qualität als in anderen Regionen. Viele Veranstaltungen werden von der regionalen Bevölkerung für die eigenen Leute ausgerichtet und nicht speziell für die Touristen – die man aber großzügig daran teilhaben lässt.

Ein schönes Beispiel dafür ist der sogenannte „Liachtbratlmontag“ in Bad Ischl, an dem alle Ischlerinnen und Ischler (ab 50) geehrt werden, die einen runden Geburtstag feiern. Dieser Montag Anfang Oktober markierte den ersten Arbeitstag im Herbst, an dem künstliches Licht verwendet wurde. Von dem im Sommer eingesparten Geld – weil keine Kerzen für die Beleuchtung verbraucht wurde – spendierte der Herr seinen Angestellten ein Bratl.

Ein weiteres, wunderbares Beispiel ist der Ausseer Fasching, der seit Jahrhunderten einer strengen Choreografie folgt, in der die Trommelweiber und die Flinserln in ihren aufwendigen Kostümen eine Hauptrolle spielen. Ähnliches gilt für die zweite Faschingshochburg im Salzkammergut, Ebensee. Dennoch möge niemand behaupten, die Salzkammergutler klebten an patriarchalischen Traditionen – in Altaussee gehen anstatt der Männer die Frauen als Trommelweiber, weil die Männer, glaubt man bösen Zungen, angeblich zu faul dazu sind. Ein weiterer Beweis für die Offenheit der Einheimischen ist die Tatsache, dass am Kulturhauptstadtjahr auch Gemeinden teilnehmen dürfen, die selbst bei großzügigster Auslegung der Grenzen des Salzkammerguts weit außerhalb derselben liegen.

Kultur im Salzkammergut besteht aber nicht aus erstarrter Traditionspflege. So gibt es Musiker und Musikerinnen, die auf der Basis traditioneller Musik ihre Fühler weit in andere ethnische Traditionen hineinstrecken und so innovativ Neues schaffen. Ein angenehmer Nebeneffekt dabei ist, dass volkstümliche Schlagermusik im Salzkammergut auf keinen fruchtbaren Boden fällt.
In eine Falle freilich sollten die Ischler und mit ihnen das Salzkammergut nicht tappen: Schon in den ersten Reaktionen zur Wahl Bad Ischls tauchten verkitschte Darstellungen des Kaiserpaares auf. Und man wird gut daran tun, ironische Distanz zur Franzl-und-Sisi-Nostalgie zu bewahren, anstatt der Versuchung zu erliegen, sie zu Galionsfiguren des Kulturhauptstadtjahres werden zu lassen.

Und schließlich und endlich ist es auch deswegen gut, dass das Salzkammergut eine Kulturhauptstadt bekommt, weil’s dort einfach so schön ist. Hier darf man einen der bekanntesten Künstler des Salzkammerguts, Hubert von Goisern, zitieren, der einmal gemeint hat, er habe wohl eine ganze Menge Wunderschönes auf seinen Reisen durch die Welt gesehen, schöner aber als im Salzkammergut sei es nirgends gewesen. Und wenn man dann am Ufer des Altausseer Sees sitzt und hinüber zur Kirche nach Altaussee blickt, dann muss man ihm recht geben, denn es breitet sich eine Ruhe im Inneren des dort Sitzenden aus, die ihn – oder sie – unwillkürlich die Frage stellen lässt, ob und warum man hier überhaupt je wieder weggehen sollte.

Zum Autor:
Herbert Dutzler, 1958 in Schwanenstadt geboren, verbrachte mehrere Sommer seiner Kindheit in Bad Aussee und ging dort auch zur Schule, weil seine Eltern eine Frühstückspension betrieben. Seit 2011 hat er sieben Kriminalromane um den Altausseer Polizeiinspektor Gasperlmaier verfasst, der achte, „Letzter Jodler“, erscheint im März 2020. Der erste der Krimis, „Letzter Kirtag“, wurde 2019 verfilmt und kommt im Frühjahr 2020 ins Fernsehen.