Ein "imponierendes Alterswerk", "an systematischer Gestaltungskraft kaum zu überbieten", aber auch "eine Herausforderung für jeden Leser". Das neue Buch von Jürgen Habermas elektrisiert die Fachwelt. Wenn "Auch eine Geschichte der Philosophie" am Montag erscheint, haben führende Experten die 1.750 Seiten bereits durchgearbeitet. Ihr Urteil ist geprägt von Respekt und Bewunderung für die Leistung.

Die Geschichte der Philosophie erzählen zu wollen, sei "ein waghalsiges, eigentlich unseriöses Unternehmen", gibt der 90-jährige Habermas im Vorwort zu. Er habe das Buch geschrieben "aus der Sicht eines alt gewordenen, auf sein eigenes, vergleichsweise verschontes Leben zurückblickenden Philosophieprofessors". Sein Motiv, sich dieser "müßigen und ziemlich lange anhaltenden Altersbeschäftigung" hinzugeben: "Es hat mir einfach Spaß gemacht." Habermas gilt weltweit als einer der bedeutendsten Philosophen. Bis zu seiner Emeritierung 1994 lehrte er in Frankfurt. Heute lebt er am Starnberger See.

Die Titel der beiden Einzelbände klingen für Laien sperrig: "Die okzidentale Konstellation von Glauben und Wissen" und "Vernünftige Freiheit. Spuren des Diskurses über Glauben und Wissen". Worum geht es? Habermas zeichnet nach, "wie sich die Philosophie aus ihrer Symbiose mit der Religion gelöst und säkularisiert hat", erklärt der Suhrkamp Verlag. Es sei "auch" eine Geschichte der Philosophie, aber eben nicht nur, sondern auch eine Reflexion über deren Aufgabe.

"Ich bin unsicher geworden, ob die Philosophie, wie wir sie kennen, noch eine Zukunft hat", schreibt Habermas dazu. Wie in allen Wissenschaften gebe es auch in seinem Fach eine fortschreitende Spezialisierung. Die Philosophie dürfe aber "das Ganze nicht aus dem Auge verlieren", dürfe nicht "vor dem Komplexitätswachstum unserer Gesellschaft (...) resignieren". Im Nachwort präzisiert er, was ihm auf der Seele liegt: Klimawandel, "destruktive Internetkommunikation", "postdemokratische Zustände" und den "weltweit entfesselten Finanzkapitalismus".

Interessante neue Thesen

Der bescheiden klingende Titel "verrät nicht, dass es sich möglicherweise um eines der wichtigsten Werke von Habermas handelt", sagt der Frankfurter Philosophie-Professor Matthias Lutz-Bachmann. "Die Frage nach der Religion erhält in diesem Werk eine neue Bedeutung." Seine These laufe darauf hinaus, dass das "nachmetaphysische Denken" viel mehr von der jüdisch-christlichen Tradition gelernt hat, als dies bisher in Philosophie und der Wissenschaft anerkannt worden ist. Seine Thesen werden "für viel Aufmerksamkeit sorgen", glaubt Lutz-Bachmann.

Das "imponierendes Alterswerk" sei "eine Herausforderung für jeden Leser", sagt Prof. Stefan Müller-Doohm. Der Oldenburger Soziologe hat eine Biografie über Habermas veröffentlicht und ist Mitherausgeber von "Habermas global - Wirkungsgeschichte eines Werks". "Selbst nach mehrfacher Lektüre muss man diesen sehr gehaltvollen Rückblick auf das Erbe der westlichen Philosophie erst einmal geistig verdauen."

Im ersten Band werden die "kognitiven Schübe" dargestellt, die durch die Weltreligionen ausgelöst wurden, fasst Müller-Doohm zusammen. Im zweiten Band rekonstruiert Habermas die "Entkoppelung des Glaubens vom Wissen". "Die große Stärke der beiden Bände besteht darin, dass sie ein neues Licht darauf werfen, wie sich das philosophische Denken als Lernprozess vor dem Hintergrund von gesellschaftlichen Krisen entwickelt hat", sagt Müller-Doohm. "Das ist eine moderne Philosophie, die irrtumsoffen ist, die den Anspruch aufgibt, unfehlbar zu sein."