Er scheint es noch immer nicht ganz fassen zu können. Dass ein eigentlich schüchterner, dicklicher, früh zur Glatze neigender, schwuler Mann wie er einer der größten Popstars werden konnte. Elton John (72) blickt in seiner Autobiografie "Ich. Elton John" staunend auf ein Leben zurück, das im unglamourösen Städtchen Pinner bei London begann und einen aufregenden Verlauf nahm.

Der britische Pianist, Sänger und Komponist spart darin wenig aus - weder typische Rockmusiker-Exzesse noch Krisen, Krankheiten und Verluste oder Charakterschwächen wie Jähzorn, Launenhaftigkeit, Geltungsbedürfnis und selbstzerstörerische Suchtneigungen. Die guten Seiten des Reginald Kenneth Dwight, der sich Ende der 60er den Künstlernamen Elton John gab, glänzen gerade dadurch umso intensiver: seine Menschenliebe und Empathie für Schwächere, seine Fähigkeit zur Selbstkritik - und die ewige Liebe zur Musik.

Denn natürlich ist die Autobiografie eines Superstars, der mit fast allen Großen aus Rock und Pop zumindest zeitweise Kontakt hatte, eine wahre Fundgrube. Elton John zeichnet - assistiert vom "Guardian"-Kritiker Alexis Petridis - viele höchst amüsante, aussagekräftige Mini-Porträts von Familienmitgliedern und Kollegen. Seine notorisch streitsüchtige Mutter, Michael Jackson ("nicht mehr alle Tassen im Schrank"), Keith Richards und Tina Turner kommen nicht so gut weg - Kurzzeit-Ehefrau Renate Blauel, John Lennon und Freddie Mercury dafür umso besser.

Ich. Elton John. Heyne-Verlag, 496 Seiten, 26.80 Euro
Ich. Elton John. Heyne-Verlag, 496 Seiten, 26.80 Euro © KK

Dass manche Erinnerungen durch seine Kokain- und Alkoholsucht der 70er und 80er leicht umnebelt sein könnten, deutet Elton John an. Auch dass er hin und wieder "ein klitzekleines Bisschen" übertreibe - und sowieso eine alte Klatschtante sei. Aber man hat nie den Eindruck, hier nur unrealistische oder wichtigtuerische Schnurren eines Exzentrikers aufgetischt zu bekommen.

Am lustigsten liest sich eine Gartenfest-Episode: "Es war bereits später am Abend, ich schwebte und stand völlig neben mir, als ein verwahrlost aussehender Typ, den ich nicht erkannte, auf die Party kam. Wer zur Hölle war das? Es musste ein Angestellter sein, ein Gärtner. Ich verlangte lautstark zu wissen, was der Gärtner sich dabei dachte, sich einen Drink zu genehmigen. Es gab einen Moment entsetzten Schweigens." Der "Gärtner" ist Bob Dylan.

Daraufhin sagt George Harrison dem bedröhnten Party-Gastgeber: "Elton, ich bin der festen Überzeugung, du solltest es mit dem guten alten Marschierpulver etwas langsamer angehen lassen." 1990 begibt sich der Star dann in einen Drogenentzug - die kürzlich mit viel Erfolg in den Kinos gelaufene Film-Biografie "Rocketman" baut daraus ihre spektakuläre Rahmenhandlung.

Es gibt viel trockenen, verschmitzten Humor in "Ich. Elton John" - aber auch etliche tief berührende Kapitel, die für den so fehlbaren Protagonisten mit dem Brillen-Tick einnehmen: sein Liebeskummer nach der ersten Dauerbeziehung zum Musikmanager John Reid; die Künstler-Partnerschaft mit dem genialen Textschreiber Bernie Taupin; die Freundschaft mit Prinzessin Diana, für deren Trauerfeier er 1997 "Candle In The Wind" mit verändertem Text sang (bis heute der größte Single-Hit der Pophistorie).

Noch eindrucksvoller als jeden Charterfolg, jedes schrille Bühnenoutfit, jede Promiparty und alle Schattenseiten schildert Elton John das unermüdliche Engagement für HIV-Infizierte und Aidskranke. Fast eine halbe Milliarde Dollar hat seine Aids-Stiftung seit ihrer Gründung 1992 gesammelt. Der Musiker erzählt davon voller Begeisterung, aber ohne Selbstbeweihräucherung.

Neubeginn

Seit fast 30 Jahren ist Elton John nun "clean", seit 25 Jahren führt er eine Lebenspartnerschaft (und seit 2014 eine Ehe) mit David Furnish. Was der "Rocketman"-Film nur im Abspann erwähnt, wird in der Autobiografie zum ausführlichen Bericht eines Neubeginns. Dass sich das Paar einen Kinderwunsch erfüllen konnte - man gönnt es diesem lange durchs Leben taumelnden, warmherzigen Künstler von Herzen.

Elton Johns "Farewell"-Tournee führt ihn derzeit noch einmal rund um den Globus, auch in Österreich hat er damit heuer Station gemacht. Der Sänger ist dank starker Spätwerk-Platten, des tollen Kinofilms und der Autobiografie fast so populär wie zu seinen besten Zeiten in den frühen bis mittleren 70ern, als er eine unfassbare Reihe von Qualitätsalben für die Ewigkeit einspielte. Er will weiter Musik machen und sich für andere Menschen engagieren. Sein Rückblick endet mit den Worten: "Es gibt nur eine Frage, die sich zu stellen lohnt: Wie geht es weiter?"