Frau Professor Illouz, in Ihrer Trilogie der Liebe skizzierten Sie die Auswirkungen des Neoliberalismus auf unser Liebesleben. Für Ihr neues Buch „Das Glücksdiktat und wie es unser Leben beherrscht“ haben Sie sich mit Edgar Cabanas das billionenschwere Glücksbusiness vorgeknöpft. Warum?
EVA ILLOUZ: Das ist eine natürliche Fortsetzung der Themen, mit denen ich mich befasst habe: die Soziologie der Liebe, die Soziologie der Emotionen, Emotionen als Ware. Alle diese Themen konvergieren mit der Soziologie des Glücks, denn romantische Liebe wird als wesentlicher Bestandteil dieses Glücks angesehen. Das Glück ist nicht nur auf dem Verbrauchermarkt außerordentlich beliebt geworden, sondern die Wissenschaft hat dem Thema Aura und Legitimität verliehen. Neu ist, dass das Thema Glück zunehmend von politischen Entscheidungsträgern verwendet wird.


Sie ziehen hart mit Glücksindexen wie dem „World Happiness Report“ der Vereinten Nationen oder der „Better Life Initiative“ der OECD ins Gericht. Was ist so schlimm daran, wenn sich Staaten um das Glück ihrer Bevölkerung kümmern?
Reporte wie diese können in bestimmten Fällen Realpolitik ersetzen. Sie basieren auf der Idee, dass Glück wichtiger als materieller Besitz ist. Solche Glücksindexe lenken von anderen Problemen ab: von sozialer Ungleichheit, Armut, Geschlechterungerechtigkeit, Analphabetismus oder dürftiger Gesundheitsversorgung.


Die Politik ist also fein raus, wenn sie sich darauf berufen kann, dass die Bewohner doch glücklich seien.
Exakt, das klingt, als wäre alles in Ordnung. Es wird ein Wert kreiert, der auf den subjektiven Gefühlen der Menschen basiert. In Wahrheit ist dieses subjektive Gefühl in hohem Maße manipulierbar. Was wäre, wenn wir feststellen würden, dass Menschen in Dritte-Welt-Ländern laut Index glücklicher sind als Menschen in Dänemark oder Frankreich? Bedeutet das, dass diese die Dritte-Welt-Länder nachahmen sollten? Das ist absurd! Hinzu kommt, dass diese Erhebungen wissenschaftlich wenig Gültigkeit besitzen.


In Bhutan oder den Vereinigten Arabischen Emiraten hat man mittlerweile eigene Glücksministerien installiert.
Genau das ist der Punkt: Wenn ein Staat ein „Ministerium für Glück“ einrichtet, wird der Eindruck erweckt, dass sich jemand um die Bedürfnisse der Menschen kümmert. Diese Ministerien machen die Subjektivität des Einzelnen zu einer politischen Angelegenheit. Das ist nicht nur eine ideologische Verschleierung, sondern schafft eine neue Dimension der Regierungsmentalität. Der Staat, verantwortlich für Verkehr, Sicherheit oder Wohnen, ist plötzlich auch für Subjektivität zuständig. Ist das etwas, worüber wir uns keine Sorgen machen sollten? Ich denke, wir sollten.


Welche Folgen kann das ministeriell verordnete Glück haben?
Man könnte sagen, dass ein Staat, der um das Glück seiner Bürger besorgt ist, ein zutiefst humaner ist. Aber schauen Sie sich an, wann zum Beispiel David Cameron (Anm. früherer britischer Premierminister) mit seiner Idee eines Happiness Index gekommen ist? Nachdem er massive Budgetkürzungen durchgeführt hat. Er betonte, die Briten sollten den Fortschritt des Landes nicht daran messen, wie stark die Wirtschaft wächst, sondern wie sich ihr Leben verbessert. Und Länder wie die Vereinigten Arabischen Emirate zeichnen sich nicht unbedingt durch ihre Menschenrechtsbilanz aus, sondern sind in erster Linie daran interessiert, Folg- und Fügsamkeit zu schaffen und die Bevölkerung zum Schweigen zu bringen. Was die Regierenden am meisten fürchten, ist Unzufriedenheit und Enttäuschung, Menschen, die demonstrieren, die konsequent unglücklich und unzufrieden sind.


Zufriedenheit vorzutäuschen, ist also die einfachste und billigste Variante für Staaten?
In einer Regierung haben Sie zwei Lösungen: Sie können entweder versuchen, die Struktur der Dinge oder die Struktur der Wahrnehmung auf die Dinge verändern. Die Wissenschaft vom Glück rät den Regierenden, die Wahrnehmung der sozialen Welt zu verändern. Das sei einfacher, als große Veränderungen in der DNA eines Landes vorzunehmen.


Wenn Sie von der Wissenschaft vom Glück reden, welche Disziplinen meinen Sie damit?
Vor ungefähr 20 Jahren verkündete der US-Psychologe Martin Seligman, die Psychologie zu revolutionieren. Er kam mit der Idee auf, eine neue Psychologie zu schaffen, die sich nicht mehr nur auf die Schwächen der Menschen, sondern auf ihre Stärken konzentriert – die so genannte positive Psychologie. Seit damals ist sie von immer mehr Disziplinen legimitiert worden – wie etwa der Ökonomie. Der letzte G20-Gipfel hatte viele Panels zum Thema Glück im Programm.

Eva Illouz bei ihrer Lecture beim steirischen herbst in Graz
Eva Illouz bei ihrer Lecture beim steirischen herbst in Graz © (c) CLARA WILDBERGER


Wer fördert die Glücksforschung und warum?
Zunächst waren es die großen Konzerne. Coca Cola zum Beispiel hat ein eigenes Glücksinstitut gegründet. Und mittlerweile existieren neue Führungspositionen mit dem Titel „Chief Happiness Officer“, die den Chief Executive Officer“ (CEO) ersetzt – alleine in Frankreich gibt es mittlerweile 500 Stellen, die so betitelt sind. Das sind neue Kategorien in Unternehmen. Die Idee dahinter ist die, Arbeitnehmer glücklich zu machen. Unternehmer gehen davon aus, dass Positivität einen großen Beitrag zu Arbeitskraft und Widerstandsfähigkeit leistet. Zufriedenere Mitarbeiter sind effizienter und von ihnen kann man viel mehr verlangen. Glück ist zur Ware geworden, mit der gehandelt wird. Und das Internet spielt eine große Rolle dabei.


Inwiefern?
Das Internet ist zu einem zunehmend emotionalen Apparat geworden, das versucht, Gefühle auszudrücken, zu nutzen und zu kontrollieren. Es existieren mittlerweile unglaublich viele Apps, die dabei helfen sollen, alles in seinem Leben zu regulieren: die Stimmung zu heben, das Wohlbefinden zu steigern und das negative Denken einzudämmen. Durch den Markt wird diese Vorstellung von Positivität zu einer echten Hegemonie.


Löst das Glücklichsein die Wertigkeiten von Schönheit oder Gesundheit ab?
Glück kann die Idee von Schönheit und Gesundheit nicht ersetzen, es handelt sich dabei aber um eine neue oder andere Art, die Persönlichkeit normativ zu definieren.


Warum fühlen wir uns nie glücklich genug, sondern suchen stets krampfhaft nach Mitteln und Wegen zur Glückssteigerung?
Wir sind stetig mit Vorbildern von Positivität und Glück konfrontiert. Die Botschaft: Was auch immer Sie fühlen, Sie fühlen es nicht stark genug, Sie sind nicht glücklich genug. Das erzeugt ein zunehmendes Gefühl der Unzulänglichkeit gegenüber Negativität. Manche Menschen empfinden es mittlerweile als falsch, traurig zu sein. Der Druck, sich positiv zu fühlen, nimmt zu. Wir sind also gerade Zeugen des Aufbaus einer neuen Norm. Die neuen emotionalen Normen sind sehr mächtig.


Nämlich?
Bei diesen Normen geht es nicht so sehr ums Glück, sondern stärker um Positivität. Das bedeutet, die Reibungen zwischen Ihnen und den Institutionen sollen verringert werden.


Es bleiben also weniger Gründe übrig, sich zu beschwerden.
Ganz genau. Es ist eine großartige Chance für Institutionen, Einzelpersonen für sich zu gewinnen. Und dabei die Verantwortung an den Einzelnen zurückzuschieben.


Eine persönliche Frage: Was bedeutet Glücklichsein für Sie?
Für mich bedeutet Glück, das Gefühl zu haben, dass das Leben einen Sinn hat. Dass es eine Übereinstimmung zwischen Ihnen und dem, was Sie tun, gibt. Die nächste Frage lautet: Ist Glück wichtig?


Und wie lautet Ihre Antwort?
Für mich nicht. Ich denke, ein Leben mit Sinn, Wissen und Gerechtigkeit ist wichtiger als Glück. Wenn die Idee von Positivität darin besteht, unsere Verwundbarkeiten zu minimieren, uns für die Härte der Welt undurchlässig zu machen, dann schätze ich das nicht. Ein menschliches Wesen zu sein bedeutet auch, verletzlich zu sein und unsere Verletzlichkeit nicht zu vergessen. Mehr noch: Viele dieser negativen Gefühle, die gerade stigmatisiert werden, waren ein Mittel zur Veränderung. Denken Sie nur an die Frauenbewegung, die war von Wut angetrieben.