Wenn die Dirigentin Marin Alsop vor einem Stück ihre Ohrenstöpsel auspackt, ist das kein gutes Zeichen. Und wenige Sekunden später beneidete das Publikum Alsop um die kleinen Gummihelfer. Das große Streichorchester neben ohrenbetäubendem Rauschen hätte der 60-jährige Peter Ablinger getrost auch durch ein Percussionensemble, eine Trachtenkapelle oder eine Schar in Panik geratener Gänse ersetzen können - man hörte schlicht nichts vom analog produzierten Teil der Partitur. In vier ausgewaltzten "Sätzen" erklingt das immer gleiche, alles übertönende, unveränderliche "Weiße Rauschen", bekannt aus den Urtagen des Fernsehen nach Sendeschluss, während der Oberösterreicher das RSO zur Pantomime verdammt.

Beim zweiten Kronleuchter im Großen Saal des Konzerthauses ist in der untersten Reihe der Leuchten eine Glühbirne defekt, in der dritten von unten hingegen sind es zwei. Die Muse, auf derlei Details zu achten, schenkt einem Peter Ablinger mit "4 Weiss" - wenn man es einmal positiv formulieren möchte. Negativer gefasst sind Werke wie dieses verantwortlich für den schlechten Ruf der zeitgenössischen Musik. Oder noch kürzer: 16 Minuten vergeudete Lebenszeit.

Da glänzte im Vergleich das Auftaktstück von Clara Iannotta - "Moult" war ein Kompositionsauftrag von Wien Modern gemeinsam mit dem WDR - retrospektiv doch gleich viel mehr. Hierfür hat die gebürtige Italienerin das Häuten von Insekten als Inspirationsquelle angegeben, was die Tonsetzerin mit gestrichener E-Gitarre oder Kassettenrekordern assoziiert, während die Streicher auch mal zum Kazoo greifen oder mit dem Bogen den Notenständer traktieren dürfen.

Den klaren Sieg in der Auftakttrias der lebenden Komponisten trug da die Polin Agata Zubel davon, die Gewinnerin des Erste Bank Kompositionspreises 2018. Sie zündete schlicht ein "Feuerwerk", geschrieben aus Anlass des 100. Jahrestags der Unabhängigkeit Polens, für das sie das RSO schlagwerkgetrieben zum furiosen Parforceritt trieb.

Nach der Pause schlug dann die Stunde der älteren Herren der Zunft, gehört Luciano Berios "Sinfonia" aus 1968 doch fraglos zu den Klassikern des 20. Jahrhunderts - und das zu Recht, bedenkt man die opulente Dichte des Materials in diesem Klangexperiment aus Stimmen und Orchester. Und schließlich reizte der im Jahr der "Sinfonia"-Uraufführung verstorbene Jon Leif, Islands prominenteste musikalische Persönlichkeit vor Björk, die Lautstärkenamplitude für "Hekla" nach oben aus. Leif hatte 1947 den Ausbruch des gleichnamigen Vulkans miterlebt und dieses Erlebnis 1961 in ein sich beständig zum pandämonischen Fanal steigerndes Stück verwandelt, das nun vom RSO in Österreich erstaufgeführt wurde. Ein eruptives Erlebnis, dankenswerterweise ohne Rauschen.

Das Wien-Modern-Eröffnungskonzert, das den offiziellen Startschuss für 100 Veranstaltungen in der ganzen Stadt bis 30. November gab, war Teil der laufenden Marin-Alsop-Festspiele. Schließlich hat die 63-jährige US-Amerikanerin doch erst vor einer Woche ihr Antrittskonzert als Chefdirigentin des RSO gefeiert. Dem schließt sich kommenden Mittwoch das Jubiläumskonzert "50 Jahre RSO" an.

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