Am Telefon meldet sich Amanda Palmer mit einem perfekt ausgesprochenen „Hallöchen“: Die Amerikanerin hat Germanistik studiert, in der Musik ihres früheren Duos The Dresden Dolls spielte deutsche Kultur, vor allem Bert Brecht, eine wichtige Rolle. Das Interview will sie aber lieber auf Englisch geben.

Ihr Albumtitel „There Will Be No Intermission“ gilt offenbar auch für Ihren künstlerischen Output - so haben Sie nur eine Woche nach der Single „Drowning in Sound“ einen neuen Song veröffentlicht ..?

Was ich so an Crowdfunding mag, ist, dass ich dadurch so schnell Kunst machen kann. Und nicht auf Plattenfirmen-Typen hören muss, die mich 18 Monate warten lassen wollen. Gerade als Frau ist es wichtig, dass nicht lauter Männer Entscheidungen über deine Kunst treffen.

In „Everybody Knows Somebody“ geht es um die Schießereien in El Paso und in Dayton, die innerhalb von weniger als 24 Stunden passierten. Wie schnell kann man als Künstlerin auf so etwas Unfassbares reagieren?

Ich war zutiefst erschüttert und unglaublich frustriert über die Reaktion der Regierung. Ich habe den Song an einem Tag aufgenommen und ihn am nächsten veröffentlicht. Das Beste: Über Twitter habe ich jemanden gesucht, der das Artwork machen will. Nur ein paar Stunden später habe eine Kollaboration mit dem Vater eines Burschen, der 2018 bei der Schießerei in einer Schule in Florida ums Leben gekommen ist, begonnen.

Hat Musik für Sie nach solch traumatischen Ereignissen eine therapeutische Wirkung?

Angesichts von Dummheit, Trauer und Tragödie kann es unglaublich heilend sein. Denn was können wir oft sonst tun?

Ihr Album „There Will Be No Intermission“ ist schonungslos offen und persönlich, es geht um Abtreibung, Fehlgeburt, Krebs, Trauer. Haben Sie Angst vor den Reaktionen gehabt?

Ja, aber genau darum ging es: So verdammt ehrlich wie möglich zu sein. Es hat etwas sehr Befriedigendes, aufzustehen und zu sagen: So fühlt es sich an, eine Abtreibung durchzumachen, Mutterschaft zu erleben, eine Fehlgeburt zu erleiden. Das ist das Kraftvollste, was wir als Frauen momentan tun können. So tief wie möglich zu graben, die unverfälschte, kompromisslose, schamlose Wahrheit nennen. Die Möglichkeit, das alles auszudrücken, ist eine Waffe.

Die Songs sind in einem Zeitraum von sieben Jahren entstanden, viele davon waren schon als Demos veröffentlicht. Warum heutzutage noch ein Album?

Ich glaube immer noch an die Kraft der Alben. Außerdem war es die Bedingung meines Produzenten: Er glaubt, dass es eine magische Qualität hat, wenn man sich hinsetzt und ein ganzes Album macht, ich bin da ganz bei ihm. Außerdem hat mich das Vorhaben dazu gezwungen, zwei der besten Songs zu schreiben. Etwas hatte noch gefehlt.

Ist jetzt eine gute Zeit für Frauen in der Musik?

Es ist überhaupt eine gute Zeit für Frauen in der Kunst. Wir werden endlich mit mehr Respekt bedacht, bekommen die Aufmerksamkeit, die wir verdienen. Doch es gibt noch immer so viel Angst in dieser kapitalistischen, patriarchalen Gesellschaft, dass alles auseinanderfallen wird, wenn Frauen Macht haben. Das stimmt nicht!

Für die Tour haben Sie keine Rockclubs gewählt. Warum?

Das ist ein Sitzkonzert. Es wird aber trotz aller Schwere sehr lustig - die einzige Art, wie man darüber sprechen kann. Aber es ist keine Show, die ich in lauten Rockbars hätte machen können.

In Graz ist es der prachtvolle Stefaniensaal, einer der wichtigsten Orte für klassische Musik.

(Auf Deutsch): Ach Scheiße. Das heißt wohl, dass ich die Show nackt spielen sollte, oder?! Ich denke darüber nach!

Sind Sie schon vorgewarnt worden, was am Sonntag in Graz los ist? Stichwort „Aufsteirern“?

Ja, aber keine Sorge: Ich habe in Deutschland gekellnert - im Dirndl. Ich kenne das. Es kann gut sein, dass ich mir vor der Show noch etwas Spontanes in der Stadt einfallen lasse - vielleicht ja sogar beim Fest?