Der rote Teppich am Lido ist ausgerollt und ab Mittwoch werden bei den 76. Filmfestspielen von Venedig wieder die großen Filmemacher, die Stars und Sternchen bei Blitzlichtgewitter darüber stöckeln. Bevor es am A-Festival, das seit Jahren als Oscar-Barometer gilt und dessen uraufgeführte Werke zuletzt heiße Eisen im Rennen um die Goldbuben waren, um das Kino und dessen Deutungen über die Welt geht, verdichten sich die Kontroversen.

Besonders ein Name stößt vielen Menschen auf: Roman Polanski. Der Mann, der mit "Rosemaries Baby", "Chinatown" oder "Der Pianist" im letzten Jahrhundert der Welt einige der außergewöhnlichsten Filme schenkte. Der Roman Polanski aber auch, der 1977 in den USA wegen der Vergewaltigung und Betäubung (Drogen und Alkohol) einer 13-Jährigen angeklagt wurde und sich teilweise schuldig bekannte. 42 Tage saß er damals in Untersuchungshaft. Aus Angst vor einer hohen Haftstrafe floh er nach Frankreich. Dort dreht er weiter, meidet die USA und Länder, die Auslieferungsabkommen mit den USA haben. Bis heute.

Roman Polanski ist einer jener Protagonisten, der pünktlich zu einem neuen Werk die Debatte über die Trennung von Kunst und Künstler neu entfacht. Venedig-Chef Alberto Barbera verteidigt die Einladung von Polanskis neuem Film „J‘accuse“ auch so: "Wenn jemand ein Verbrechen begeht, sollte er ins Gefängnis. Das heißt aber nicht, dass man vergessen soll, dass es sich dabei um einen Künstler handelt, der Arbeiten geschaffen hat, die Teil unserer Filmgeschichte und unseres kulturellen Erbes sind."

Das große Aber

Ja, das stimmt einerseits schon. Andererseits mutet die Begründung merkürdig an. Zur Erinnerung: Polanski hat sich bekanntlich dem Ausgang des Verfahrens durch Flucht entzogen. Ihm nun im Wettbewerb den roten Teppich auszurollen, mutet in Zeiten der #MeToo-Debatte nicht nur höchst fragwürdig, sondern auch extrem hintlerwälderisch an. Im Vorjahr hat die Oscar-Academy Polanski und Harvey Weinstein ausgeschlossen. Nun erzeugt man mit der Einladung seines Filmes maximal vorprogrammierte Aufregung - und Aufmerksamkeit wohlgemerkt.

Was aber wirklich aufregt: Er wurde in den Wettbewerb geladen, um mit 20 anderen Filmemachern um den Goldenen Löwen zu rittern. Und Filmemacherinnen ziehen beim ältesten Filmfestival der Welt wieder einmal den Kürzeren. Zwar sind doppelt so viele Regisseurinnen wie im Vorjahr ins Rennen geladen, die Zahl ist trotzdem mickrig: zwei. In Ziffern: 2. In Namen: Shannon Murphy zeigt mit "Babyteeth" ihr Debüt und Haifaa Al-Mansour legt "The Perfect Candidate" vor. 2 von 21. Keine rühmliche Zahl.

Und das, obwohl sich der Festivalchef im Vorjahr dann doch dazu durchgerungen hatte (als letzter Intendant der großen Festivals), die  Petition "50/50 by 2020" zu unterzeichnen, die eine Geschlechtergleichheit in der Programmierung anstrebt. Selbst in Cannes waren 2018 vier Regisseurinnen in den Programmen geladen, in Toronto beläuft sich die Zahl gar auf 36 Prozent, auf mehr als ein Drittel. Die Ausrede, es gäbe keine qualitativ hochwertigen Filme von Frauen, zieht also längst nicht mehr. Einladen muss man sie halt schon.

Polanski ist übrigens nicht der einzig angeklagte Regisseur am Lido - auch Nate Parker ("Bird of A Nation"). Ihm wird vorgeworfen, am College eine Mitstudentin missbraucht zu haben, nun darf er in Venedig sein neues Selbstjustiz-Drama "American Skin" präsentieren. 2:2. Der Vergewaltigung angeklagte Männer: Regisseurinnen.