Mercy Dorcas Otieno erzählt. Impulsiv in Worten, aber noch viel impulsiver mit ihren Händen, ihren wachen Augen, ihren Grübchen und ihrem entwaffnenden Lachen. Es ist, als brenne jede Zelle ihres Körpers für den Moment. Falls er nicht gerade für die Schauspielerei Feuer und Flamme ist.

Ihre Geschichte liest sich, unsentimental gesagt, wie ein wahr gewordener afrikanischer Traum. Sie wuchs bei ihrer Großmutter in Kenia auf dem Land auf. Als junge Frau nimmt sie einen Au-pair-Job an, übersiedelt nach Deutschland, lernt eine andere Kultur kennen - stolpert in vielen kleinen Momenten in die vielen großen kulturellen Unterschiede. Ein Jahr später kommt sie zu ihrer Ersatzfamilie nach Kapfenstein, zieht nach Graz. Dort jobbt sie zwischendurch als Megaphon-Verkäuferin, später am Schauspielhaus bei „Macbeth“ als Kinderbetreuerin.

Ihr Traum

Und damals, hinter der Bühne, definiert Otieno es für sich: den Wunsch, ihr Ziel, selbst einmal da vorne zu stehen und den Schlussapplaus zu empfangen. 2010 ist es so weit: Die damalige Intendantin Anna Badora besetzt sie in Arthur Millers „Hexenjagd“. Zwei Jahre später brilliert sie in Ernst M. Binders Uraufführung „Gott ist ein Deutscher“ von Fiston Mwanza bei La Strada. Und alle, die sie dort in der abgewrackten Halle in den Tagger-Futterwerken sahen, wie sie sich eindringlich in einem Kraftakt durch den Abend wütete, wussten es: Mit dieser Frau wird es ein Wiedersehen auf der Bühne geben. Gab es auch schon; im Vorjahr in Ayad Akhtars „Geächtet“.

Heute steht sie als Daja in Gotthold Ephraim Lessings „Nathan der Weise“ in der Inszenierung von Lily Sykes auf der Bühne. Als Schauspielerin. Als neues Ensemblemitglied. Wahrscheinlich als erstes dunkelhäutiges in einem österreichischen Stadttheater. Als Mensch. „Das ist für mich ein Gefühl, heimzukommen. Dieses Haus ist nicht nur ein Haus für mich, ich bin hier zu Hause. Hier, wo alles begann“, sagt Otieno.
Es ist ihr erstes fixes Engagement nach dem Abschluss des Max-Reinhardt-Seminars, wo sie als erste Afrikanerin aufgenommen wurde. Eine Tatsache, die das Gesellschaftsbild widerspiegle, aber noch lange nicht alle Lebensbereiche durchdrungen hat. „Wenn ich durch die Herrengasse gehe, dann ist das kunterbunt. So sollte es sein - auf der Bühne, im Fernsehen, im Radio, auf der Kinoleinwand, überall“, sagt sie. Nachsatz: „Langsam bewegt sich etwas.

Der Chefdramaturg des Burgtheaters hat zu mir gesagt: Du bist jetzt im Moment richtig. Es ist deine Zeit. Jetzt können sich auch große Bühnen leisten, Nicht-Muttersprachler zu engagieren.“ Fix. „Muttersprachlerin bin ich nicht, das werde ich nie sein“, betont die 30-Jährige. Aber: „Meine Sprechdozentin hat immer gesagt: Die Bühnensprache ist auch eine Fremdsprache.“

"Eines Tages wirst du von mir lesen"

In Graz wurde Otieno zunächst für einen Stückvertrag geholt, erst wurden zwei daraus, Tage später vier. Dann kam die Anfrage von Intendantin Iris Laufenberg, sie wolle mit ihr mittagessen gehen. Noch bevor sie bestellt hatten, war der Deal besiegelt, Otieno fix engagiert. „Es ist ein gutes Gefühl, in die Geschichte des Schauspielhauses einzugehen.“
In den Tagen, bevor sie heute Abend Premiere als Ensemblemitglied feiert, erinnert sie sich wieder an eine Graz-Geschichte als Megaphon-Verkäuferin: „Manchmal haben mich Leute verspottet, einer hat mich sogar angespuckt. Dann habe ich mir gedacht: Eines Tages wirst du von mir lesen. Du wirst eine Zeitung aufmachen und mich sehen. Und dafür zahlen, mich zu sehen.“ Heute und eine ganze Saison lang.