Ihre erste Kino-Hauptrolle trägt sie gleich nach Cannes: Margarethe Tiesel hatte schon viele kleinere Film- und Fernsehrollen und ist nun Ulrich Seidls Protagonistin in "Paradies: Liebe". Die österreichisch-deutsch-französische Koproduktion wird am kommenden Freitag bei den größten Filmfestpielen der Welt uraufgeführt. Selbst Tiesel sah das fertige Werk noch nicht.

Wie kamen Sie zu dieser Rolle, die Sie nun auf den roten Teppich von Cannes trägt?

MARGARETHE TIESEL: Durch Eva Roth, die Schwester von Regisseur Thomas Roth, die Casterin ist und seit jeher für Ulrich Seidl castet. Eva kannte mich aus "Nordrand" von Barbara Albert. Sie rief mich vor mittlerweile fünf Jahren an und sagte: "Wir suchen für den Film eine ,Sugar Mama'."

Konnten Sie sich etwas darunter vorstellen?

TIESEL: Nicht sofort. Aber ich wurde aufgeklärt: So heißen die weißen Frauen in Afrika, die heiß begehrt ist - natürlich auch wegen ihres Geldes.

Was mussten Sie beim ersten Casting tun?

TIESEL: Es war Winter, ich saß auf einem kalten Sofa und musste im Bikini "Hitze spielen". Mein Partner war ein sogenannter Beachboy - das sind diese afrikanischen Jungs am Strand, die dir das Geld abnehmen wollen. Mein Auftrag war, ihn abzuwehren. Nach dem dritten Casting durfte ich mit Ulrich Seidl auf Recherche nach Kenia mitfahren. Dort schauen dich wirklich alle Männer an. Du fühlst dich als begehrenswerte Frau, auch wenn sie nur dein Geld wollen.

Wie würden Sie Ihre Rolle beschreiben?

TIESEL: Teresa ist eine enttäuschte Frau, deren Freundin ihr vorschwärmt, wie man in Afrika die Liebe finden kann. Also reist sie nach Kenia. Ich sehe sie als Person, die wirklich die Liebe sucht - der Sex ist nur ein Teil davon.

Wie nahe ist Ihnen diese Teresa?

TIESEL: (lacht) Ich bin ja glücklich verheiratet! Aber ich muss gestehen: Ich verstehe alle Frauen, die das mit einem dieser feschen Boys machen.

Ulrich Seidl hat nicht unbedingt den Ruf, ein einfacher Regisseur zu sein. Hand aufs Herz: Wie war die Zusammenarbeit?

TIESEL: Man kann schon sagen, dass er mit Lob spart. Einmal ging ich vor der gesamten Crew vor ihm auf die Knie und flehte: "Bitte, Herr Seidl, bitte mehr Zuckerbrot und nicht so viel Peitsche!" Was nicht heißt, dass er respektlos ist. Im Gegenteil. Außerdem: Zwölf Stunden täglich in dieser Hitze zu drehen, ist schon eine Anstrengung für sich. Dann erkrankten auch noch der Regieassistent und der Produktionsleiter an Malaria. Insgesamt war es ein wunderbares Team.

Fielen Ihnen die Nacktszenen leicht?

TIESEL: Man muss schon über seine natürliche Schamgrenze gehen. Aber es war auch interessant, das auszuprobieren. Da man "nur" eine Rolle spielt, passt es dann auch. Wobei ich den Eindruck hatte, dass diese Szenen für die schwarzen Darsteller sehr viel schwieriger waren, weil sie doch sehr schüchtern sind und es ist nicht üblich ist, sich nackt am Strand zu zeigen. Ein komischer Widerspruch zum Sextourismus. Sagen wir so: Sie ziehen lieber andere als sich selbst aus.

Dem Vernehmen nach gab es zwar ein Drehbuch, dennoch wurde das Meiste improvisiert . . .

TIESEL: Eigentlich wurde jede Szene improvisiert. Also kann man sich kaum vorbereiten. Vorgegeben ist nur die Situation, aber kein Text. So hat sich die Geschichte im Laufe der Dreharbeiten auch geändert - je nachdem, was sich zwischen den Schauspielern und den Laien entwickelt hat (die Beachboys sind Laiendarsteller, Anm.). Seidl steckte uns in Situationen, etwa: Mein Beachboy zeigt mir sein Dorf. Oder er nimmt mich zum ersten Mal in seine Hütte mit.

Wir mit Cannes nun ein Mädchentraum wahr?

TIESEL: Ich habe nie vom Oscar geträumt oder so. Aber es geht trotzdem um Anerkennung. Ich bin dankbar und auch ein bisschen demütig - dafür, dass Seidl mich ausgesucht hat und "Paradies: Liebe" nun aus 1700 Bewerbungen unter den 22 Wettbewerbsfilmen ist. Wäre ich schlanker, hätte ich vielleicht die Chance auf diese Rolle vielleicht nicht gehabt (lacht). Ich will die Aufmerksamkeit auf dem roten Teppich einfach richtig genießen. Und das Gefühl haben, nachdem man Jahrzehnte fleißig, brav und auch gut gearbeitet hat: Heute bekomme ich etwas zurück.

Und wie werden Sie sich vor den internationalen Fotografen präsentieren?

TIESEL: Im Dirndl. Mit einer 10.000-Euro-Robe von Angelina Jolie kann ich eh nicht mithalten, daher dachte ich mir, dass ein Dirndl in Cannes auffällt. INTERVIEW: CHRISTIAN UDE