Friaul-Julisch-Venetien bietet viel Kunst: Die Ausstellungsangebote sind mannigfaltig wie zeitgenössisch und ermöglichen so manche neue Erkenntnisse und Perspektiven.
Pasolini in Amerika
In Casarsa della Delizia, der Heimat seiner Mutter, wird das Andenken an den Schriftsteller, Filmemacher, Journalisten und Intellektuellen Pier Paolo Pasolini (1922-1975) auch 50 Jahre nach dessen Ermordung hochgehalten. Hier war er in den Ferien bei seinen Großeltern, hier spielte er Fußball, hier arbeitete er als Volksschullehrer und hier wurde er begraben. 2022 wurde das Haus seiner Großeltern zu einem Studienzentrum, das auch mit einer permanenten Ausstellung zu seiner Familie, zu seinem Umfeld sowie zu seiner Person Einblick in die Persönlichkeit dieses überzeugten Freidenkers gibt. Im obersten Stockwerk wechseln die Ausstellungen und eröffnen damit immer neue Blickwinkel auf Pasolini, wie die aktuelle Schau mit dem Titel „Pasolini America Warhol“.
Ein Interesse Pasolinis an den Vereinigten Staaten klingt beinahe unglaubwürdig, war dieser als unerschütterlicher Marxist sowohl dem Kapitalismus als auch dem Konsum gegenüber durchaus kritisch eingestellt. Aber die Entwicklung der amerikanischen Gesellschaft mit den Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg und den Rassismus interessierten ihn. Er war zudem fasziniert von der Schönheit Marilyn Monroes, für die er nach ihrem Tod ein Gedicht schrieb, welches – auf einer Fahne aufgedruckt – dem berühmten Warhol-Druck eine sprachliche Erweiterung gibt.
Für den amerikanischen Pop-Art-Künstler verfasste Pasolini einen Text zu dessen Bilderserie „Ladies & Gentlemen“, aus der hier einige zu sehen sind. Es ist ein multiperspektivischer Einblick, der neben Texten auch Fotos und Videos von Pasolini in den USA zeigt, sowie amerikanische Literatur, mit der sich der italienische Denker befasste. Besonders eindrucksvoll erklärt er in einem Interview mit der französischen Filmemacherin Agnès Varda 1967 in New York City das Verhältnis von Realität und Fiktion in Filmen.
Bruno Barbey und eine Punk-Band als Comic-Figuren
In Pordenone treffen sich zwei vollkommen konträre Kunstgattungen aus unterschiedlichen Zeiten. In der Galleria Harry Bertoia holen Fotos von Bruno Barbey das Italien der 1960er Jahre in die Gegenwart und im Palazzo del Fumetto, dem hiesigen Comic-Museum, führt eine Ausstellung der in Masken auftretenden Punk-Band „Tre Allegri Ragazzi Morti“ (Drei fröhliche, tote Burschen) in eine musikalisch-grafische, zeitgenössische Welt. Gegründet wurde diese von dem Comiczeichner und Musiker Davide Toffolo, der die Band als Comicfiguren inszenierte. Er verfasste zudem die auch ins Deutsche übersetzte Graphic Novel „Interview mit Pasolini“. In den 30 Jahren ihres Bestehens hat sich so einiges Sehenswertes angesammelt wie etwa im Comic-Stil gestaltete Briefe oder Animationen zu Videoclips
Der Song der „Tre Allegri Ragazzi Morti“ mit dem Titel „Il mondo prima“ ist auch hierzulande bekannt:
Fast zu einem Film gerinnt die Szenerie mitsamt der darin vorkommenden Menschen, wenn Bruno Barbey den Auslöser seiner Kamera betätigt. Der französische Fotograf war Mitglied der renommierten Agentur Magnum, der auch Henri Cartier-Bresson oder Robert Capa angehörten. „Gli Italiani“ (Die Italiener) zeigt dabei nicht nur Familien, Aristokratinnen, eine Menschengruppe oder Kinder, es ist eine Gesellschaft abgebildet, die sich im Aufbruch befindet, aber noch stark in der Tradition verankert ist. Intensiv, ausdrucksstark, aber auch humorvoll ist Barbeys Blick auf die Italiener.
Blicke auf Kolonisierung und Pflanzen
Nach dem Flanieren an der Piazza Giacomo Matteotti, rundet die ebenfalls im Zentrum von Udine gelegene Casa Cavazzini einen Besuch der zweitgrößten friulanischen Stadt ideal ab. Neben den permanenten Schauen, werden aktuell Pflanzen sowie die Konstruktion des Blicks auf das Andere thematisiert. Archaischer Gesang aus Afrika durchströmt die Räume, in denen fünf Videoarbeiten Kolonisation, Flucht und Prostitution künstlerisch wie auch dokumentarisch aufbereiten, wenn etwa der Kopf von Nofretete aus der Glasvitrine genommen und auf einen Bronzekörper gesetzt wird. Saftig grün schillernde Zimmerpflanzen in echt und in Öl tummeln sich im ersten Stock des Museums – es ist der Beginn einer Projektreihe, die sich auf die Agenda 2030 der Vereinten Nationen bezieht.