Es gibt ein paar Engstellen: Sich durch den ambitioniert gesteckten Gurkelparcours zu zwängen, ist nicht nur aus sicherheitstechnischen Gründen eine Herausforderung, so mancher könnte sich auch gefrotzelt vorkommen. Gurkerl mit Ausblick auf ein in sich verschlungenes Würschtelpaar? Damit hat Erwin Wurm die Engstirnigen schon immer provoziert. Eh klar, dass sie in der Retrospektive zu seinem 70er in der Albertina modern dann auch nicht fehlen dürfen. Gerade hier, zwischen Gurken und Würschtel, kommt es wahrscheinlich am intensivsten zum Tragen, das Wurmsche Handlungsprinzip: „Humor ist nie ein vordergründiges Ziel, er ergibt sich durch diesen Schritt zur Seite, hin zum Absurden“, erklärt der Künstler bei der Begehung. Hausherr Klaus Albrecht Schröder attestiert dem Jubilar dann auch gleich eine Meisterschaft in der Seelenschau: „Er schafft es, Symbolfiguren für psychische Zustände, für Neurosen, für Ängste und bürgerliche-gesellschaftliche Zwänge zu finden, die dann auch weit hinaus von Nicht-Österreichern verstanden werden.“
Erwin Wurm zum 70er
Wobei, die Enge der Gesellschaft, das Aufwachsen in einer Nachkriegsgesellschaft, die hat sich tief in den gebürtigen Steirer eingegraben: Ziemlich kurzfristig kam noch eine Arbeit hinzu, die es nicht einmal mehr in den Katalog geschafft hat. Auf das „Narrow-House“ folgt in der Albertina eine „Narrow-School“, ein gequetschtes Haus, das innen wie außen die gesellschaftliche Beengtheit, die Engstirnigkeit aufnimmt und jetzt als skulpturales Manifest den Raum dominiert.
Wer einen Blick in den kleinen Raum wirft, der wird große Augen machen: Alte Lehrtafeln mit mehr als fragwürdigen Lehrinhalten aus dem Jahre Schnee. Das alles fällt einem schnell ins Auge, wie auch das „Fat Car“, die „One Minute Sculptures“ zum Mitmachen oder die dahinschmelzenden Gebäude. Doch das Werk, das wohl am wenigsten instagramtauglich ist, das spürt am besten dem Skulpturenbegriff nach, den Erwin Wurm für sich entwickelt und weiterentwickelt hat: die Staubskulptur. „Es ist die Reduktion auf den Nullpunkt“, erklärt Kuratorin Antonia Hoerschelmann. Das Ausloten des Skulpturenbegriffs eines Künstlers, der eigentlich Maler werden wollte. Ist der Staub unter dem Glassturz etwa selbst die Skulptur oder nur die Grenze von etwas, das da unter dem Glassturz stand?
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Und noch ein roter Faden zieht sich durch die Ausstellung, unsichtbar, aber deutlich sichtbar, sobald man ihn wahrgenommen hat – und zutiefst persönlich: die Vergänglichkeit. „Retrospektive ist ein erschreckendes Wort“, sagte der 70-Jährige inmitten seiner Ausstellung: „Ich möchte nicht mein eigener Archivar sein. Wen interessiert das Gestern?“ Nicht zuletzt deshalb sind auch zwei Drittel der 170 gezeigten Arbeiten in der Ausstellung neu.
Vor allem die „Substitutes“ sind ein gruseliger Beitrag zur Zeit: Metallskulpturen, kopflos, körperlos, nur die Kleidung zeichnet den Umriss von Menschen nach – ein, zugegeben, gesellschaftspolitisch sehr breit interpretierbares Werk. Beinahe wie Zombies stehen sie in dem großen Raum, stumm und leblos, aber mit enormer Präsenz.
„Erwin Wurm. Die Retrospektive zum 70. Geburtstag“ bis 9. März, Albertina modern, Karlsplatz 5, 1010 Wien. albertina.at