Wichtig sind die Kennzahlen, um die Größenordnung der Porsche Holding mit Sitz in Salzburg zu verstehen: Rund 28.500 Mitarbeiter in 27 Ländern (darunter Chile, China etc.), 426 Einzelhandelsstandorte, über eine Million verkaufte Fahrzeuge, 21,1 Milliarden Euro Umsatz. Das ist die Ausgangsbasis für Wilfried Weitgasser, der mit 45 Jahren nicht nur Chief Digital Officer der Holding ist, sondern auch Geschäftsführer (Porsche Austria, Porsche Konstruktionen, Allmobil). Dem Kompass-Karriere-Magazin hat er seinen Werdegang erzählt – und erklärt, was für so eine moderne Karriere entscheidend ist. Also sagt Weitgasser: 

Das Wichtigste sind Erziehung und Elternhaus. Ich bin in einer Unternehmerfamilie aufgewachsen, die Mutter im Geschäft, der Vater hat eine Malerfirma geführt, sehr bodenständig, nie prassen, immer sparen, immer in die Zukunft schauen, damit man etwas schafft und schöpft. Das hat mich immer schon mitgeprägt, das Unternehmen war ja von meinem Opa gegründet, er ist noch mit dem Motorrad samt Leiter hinten oben auf die Baustellen gefahren. Mein Vater war schon mit dem VW-Bus unterwegs. In dem ganzen Setting bin ich sehr behütet in Schladming groß geworden. Ich konnte extrem gut zeichnen, aber ich war in der Schule zu gut,deshalb bin ich nach Salzburg ins Internat. Das war ein richtiges Burschenheim, da hast du dich durchsetzen müssen, das hat mich abgehärtet.

Zum Studium geht Weitgasser nach Graz: Informationswissenschaften heißt der Lockruf. Für ihn war es zugleich der Sprung in die digitale Welt, die ihn schon als Schüler – er programmierte sogar selbst – fasziniert hatte. Dazu kam das Thema Wirtschaft. Als sein Großvater starb, ging er zurück nach Schladming und jobbte freiberuflich.
Ich habe aber schnell gemerkt, dass ich zu einer ganz großen  Firma will, wo ich mich raufarbeiten muss. So habe ich mich dann bei großen Konzernen beworben: Bei meinem Vorstellungsgespräch bei der Porsche Holding musste ich zuerst eine Rechnung über Neuzulassungen und die Intensität der Kurzulassungen erstellen. Das Problem war das Excel-System dort – der Chef der Abteilung war ein IT-Spezialist und hatte natürlich die neueste Version. Da war jeder Befehl anders als bei jener, die ich kannte. Also habe ich kurzerhand alles im Kopf ausgerechnet und eingetragen. Das hat ihnen so gefallen, dass ich gleich angefangen habe. 

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Weitgasser bezog eine 25-Quadratmeter-Wohnung in Salzburg, nahm für einen Audi TT einige Entbehrung („Ich reduzierte alles andere“) auf sich und erstellte Marktbeobachtungsberichte am Fließband („Da bekommst du den besten Überblick über Eigen- und Fremdmarken“). Er wurde Assistent der Geschäftsführung. Einen Tag nach seiner Hochzeit eröffnete ihm sein Chef, dass er nach Slowenien gehen werde, um den dortigen Markt auf Vordermann zu bringen. Da konnte ich erstmals alle Marken betreuen. Und es ging darum, Skoda in Slowenien zu reanimieren, die Marke hatte damals dort keinen leichten Stand. Wir waren dann die ersten, die YouTube strategisch eingesetzt haben und den Roomster über YouTube ins Spiel gebracht haben. „Spinner“ hat’s geheißen, ein Zauberlehrlin bin ich,das geht nie  auf. Aber kurzfristig ist das ab gegangen, auf einmal hat jeder das Auto gekannt, weil das Auto online war, YouTube war neu, trendy, modern, das hat auf die Marke zurückgewirkt. Ich lebe ja diese Digitalität, auch wenn ich vom Alter her kein Digital Native bin. Irgendwie bin ich ein Hybrid, ich konnte schon in der Schule Basic programmieren, auch das war etwas, was meine Eltern ermöglicht haben. Das war und ist auch meine Leidenschaft, ich habe keine Angst vor Technologie. Ich bin ein Technikfreak, das kann man so sagen. Was wir aber in unserem Geschäft auch sehen: Digitale Dinge brauchen etwas Menschliches. Das ist auch ganz entscheidend, wie man das Geschäft in das Digitale transferiert. Es ist nur ein Technologieschritt. Was aber entscheidend ist: der persönliche Kontakt und der Mensch dahinter.

Heute ist Weitgasser CDO, Chief Digital Officer, eine Schlüsselposition in jedem Unternehmen, das die Digitalisierung ernst nimmt. Man muss dabei extrem konzeptionell und strategisch langfristig denken, fünf Jahre reichen nicht. Man kann aber nicht alles vorhersagen, das ist ja das Paradoxe dran, aber du bekommst nur alles auf die Reihe, wenn du einen Zeithorizont hast. Die Technologie ändert sich schnell, aber der Mensch braucht Zeit zur Anpassung. Wir, mein Team und ich, beschäftigen uns intensiv mit der Transformation, die ist langfristig. Und was will dabei der Kunde? Wie gehen wir damit um, wenn der Kunde, der sich alle Infos aus der digitalen Welt geholt hat, dann auf den Verkäufer in der Online-Welt trifft? Dafür haben wir die Voraussetzungen geschaffen. Auf der disruptiven Seite gehen wir in neue Geschäftsbereiche. Wir beschäftigen uns mit Dingen, die nicht unser Geschäft sind, aber unser Geschäft verändern könnten. Etwa die Ladethematik für die E-Autos: Dafür werden wir eine Lösung präsentieren, aber für alle Marken, die in Österreich auf dem Markt sind. Es geht also darum, bestehende Geschäft zu transformieren und neue Geschäftsfelder zu finden. 

Die Suche nach IT-Spezialisten gestaltet sich schwierig – darauf hat man reagiert. In unserem Digital Department gibt es auch keine klassischen Hierarchien. Da arbeiten alle nach Fähigkeiten, auch wenn es einen Chef, einen Prokuristen etc. gibt. Man muss das ja auch klar sagen: Du bekommst keinen Data Scientist, einen Datenwissenschaftler, wenn du diese Stelle einfach ausschreibst. Das funktioniert heute anders. Man hat vielleicht einen Virtual-Reality-Experten und der kennt wieder jemanden, der Data Scientist ist, und der kommt zu uns, weil er gehört hat, dass es klass bei uns ist. Wir sind auch sehr offensiv an den Unis, wir haben einen Porsche Innovation Engine, da können sich Start-ups etc. melden, da finden wir die Kooperationspartner. Man kann die Personalsuche nicht auf einen Channel reduzieren, das ist Multichannel Suche.

Weitgasser hat seine spezielle Methode, wie er neue Mitarbeiter „durchleuchtet“. Um den Menschen kennenzulernen, lade ich jeden neuen Mitarbeiter zu einem persönlichen Gespräch ein und ich frage nicht, was er schon alles gemacht hat. Ich schaue mir einmal an, was er für Hobbys hat, welche Sprachen er spricht und darauf stimme ich meine persönlichen Fragen ab. Es ist ja so: Fachlich kann man jemanden alles lehren, menschlich nicht. Wir haben auch ein gutes Trainee- und Praktikanten-System mit einer hohen Wiederkehrrate – wir wissen dann schon, was sie können. Der Mensch ist und bleibt der entscheidende Faktor, das wird sich nicht ändern.