Stichwort digitale Transformation im Gesundheitsbereich, wo sehen Sie das Potenzial?

Robert Mischak: Es stellt sich heraus, dass viele eHealth-Services, die schon seit Jahren in Planung beziehungsweise in Entwicklung sind, mit Beginn von COVID-19 dringend notwendig gewesen wären. Ich spreche hier beispielsweise von Videosprechstunden in Arztpraxen und in Primärversorgungseinrichtungen, allenfalls auch in Krankenhausambulanzen. Potenzial sehe ich aber auch beim Thema elektronisches Rezept verbunden mit einem Zustellservice, der elektronischen Gesundheitsakte ELGA und dem elektronischen Impfpass. Die Diagnosestellung und die Wahl der richtigen Therapie kann mit Entscheidungsunterstützungssystemen wesentlich verbessert werden.

Viele Bürgerinnen und Bürger berichten, dass Sie bei den COVID-19-Notrufnummern zunächst nicht durchgekommen sind und auch nicht zurückgerufen wurden. Muss es hier noch immer der persönliche telefonische Kontakt sein?

Mischak: Nein, es gibt bereits Apps, wo man seine Symptome in einem geführten Dialog eingeben kann. Daraus errechnet die App Empfehlungen mithilfe einer Wissensdatenbank auf Basis von mehr als tausend gut evaluierter Fälle. Die Empfehlung kann bedeuten, dass man sich keine Sorgen machen muss oder dass man doch die Ärztin oder den Arzt aufsuchen soll. In Schweden konnten so teilweise 30 Prozent der Arztbesuche als unnötig erkannt werden. Jede Health-App kann orts- und zeitunabhängig genutzt werden. Dies würde Notruftelefone sofort entlasten.

Die Ausbreitung von COVID-19 belastet das System der Gesundheits- und Krankenpflege zusätzlich. Welche Lösungen bietet eHealth an?

Die Bachelor- und Masterstudiengänge „Gesundheitsinformatik / eHealth“ und „eHealth“ beschäftigen sich u.a. mit dem Ausbau der digitalen Infrastruktur im Gesundheitssystem
Die Bachelor- und Masterstudiengänge „Gesundheitsinformatik / eHealth“ und „eHealth“ beschäftigen sich u.a. mit dem Ausbau der digitalen Infrastruktur im Gesundheitssystem © FH JOANNEUM / Luttenberger

Robert Mischak: Eine Lösung zur Entlastung des Pflegesystems ist Telemonitoring beziehungsweise Telecare. Vitalparameter wie Blutdruck, Blutzucker, Temperatur oder Puls können bei der Patientin oder beim Patienten zu Hause aus der Entfernung gemessen und übermittelt werden. Ein gutes Beispiel dafür ist das Tiroler Versorgungskonzept „Herzmobil“, welches in der Regelversorgung eingesetzt wird. Die Notwendigkeit persönlicher Kontakte und somit die Ansteckungsgefahr, könnten reduziert werden, zugleich können die Pflegekräfte mehr Personen versorgen, weil sie sich die Anreise sparen.

Wie schätzen Sie die weitere Entwicklung von COVID-19 ein?

Robert Mischak: Im Augenblick müssen wir das beste aus der Situation machen und ich bin auch optimistisch, dass wir das in einigen Wochen überstanden haben werden. Aber die nächste Epidemie kommt bestimmt und wir können nicht jedes Jahr das ganze Land wochenlang „herunterfahren“.

Nehmen wir den Fall, dass in einem Jahr eine Impfung gegen COVID-19 verfügbar ist. Dann muss die Politik sich mit der Frage einer Impfpflicht beschäftigen und meines Erachtens auch dafür sein, wenn der Nutzen der Impfung aus wissenschaftlicher Sicht allfällige Risiken überwiegt. Die Politik muss aber auch konsequenterweise die Bevölkerung über die Risiken aufklären und die Kosten für Impfopfer übernehmen.

Ihr Appell?

Robert Mischak: Der zögerliche Umgang mit eHealth-Themen muss aufhören. Österreich sollte im Europavergleich ein Vorreiter werden. Der nächste Schritt wäre, die digitale Infrastruktur auf allen Ebenen des Gesundheitssystems auszubauen und die vielen eHealth-Services flächendeckend zu nutzen, die schon verfügbar sind. Dafür benötigen wir noch mehr eHealth-Expertinnen und eHealth-Experten. Eine exzellente Ausbildung in diesem Bereich bieten wir im Bachelorstudium „Gesundheitsinformatik / eHealth“ und im Masterstudium „eHealth“   an der FH JOANNEUM an.