Vier Tage nach Kriegsausbruch, am 27. Februar, machte sich Mihailo Kokosh auf den Weg in die Ukraine, um seine Familie nach Österreich zu holen. Er war hierzulande immer wieder als Bauarbeiter tätig, während seine Frau und fünf Kinder in Novosil's'ke, einer Stadt nahe der rumänischen Grenze in der Region Odessa, lebten.

Als die ersten russischen Angriffe sein Heimatland trafen, hat der Familienvater nicht lange überlegt: "Ich habe mir ein Auto von Freunden in Österreich geliehen und bin mit dem Boot über die Donau in die Ukraine gefahren." Novosil's'ke liegt nur zehn Minuten von der Donau entfernt, die an der ukrainischen Grenze streift, bevor sie ins Schwarze Meer mündet. Insgesamt war Kokosh 25 Stunden mit dem Auto und dem Boot unterwegs, um seine Familie aus dem Kriegsgebiet zu holen.

"Die Reise war ziemlich schwierig, vor allem für die Kinder. Wir wussten auch nicht, was uns erwartet", erzählt seine Frau Ina Kokosh. "Mit so viel Hilfsbereitschaft haben wir nicht gerechnet. Wir fühlen uns in Österreich sicher und sind sehr dankbar."

Die Familie ist zuerst bei Freunden in Treibach untergekommen. Nach einigen Tagen haben sie auf Rat der Freunde das Gemeindeamt kontaktiert. "Da habe ich gewusst, dass der Ukraine-Kireg auch uns in Althofen erreicht hat", sagt Bürgermeister Walter Zemrosser. Sofort haben alle Gemeindebediensteten die notwendigsten Dinge vom Fernseher bis zur Bettwäsche zusammengetragen. Auch eine kleine Wohnung mit 2 Zimmern und einer Küche wurde organisiert. "Vier Kinder schlafen in einem Zimmer. Das ist bei uns unvorstellbar, aber sie sind zufrieden", berichtet Gemeindemitarbeiter Vasile Haraga, der als Übersetzer fungiert. Er selbst ist als Flüchtling in den 90er-Jahren nach Österreich gekommen und war schon damals von der Hilfsbereitschaft überrascht. "Jetzt möchte ich etwas zurückgeben und dieser Familie helfen."

Andrea (6) und Vanessa (8) Kokosh
Andrea (6) und Vanessa (8) Kokosh © Gert Köstinger

Die kleine Wohnung sei keine Dauerlösung und außerdem benötigt die Familie noch Gewand, Lebensmittel und Hygieneartikel, sagt Hargara. Er zeigt auf die Sandalen, mit denen Mihailo Kokosh zum Treffen erschienen ist. Doch dieser verneint sofort: "Wir brauchen nichts. Wir sind glücklich, hier in Frieden zu leben."

Die Kinder realisieren es nicht

Von rechts: Mihailo (42), Hrtem (15), Angelina (4), Andrea (6), Vanessa (8), Maksim (13) und Ina Kokosh (38)
Von rechts: Mihailo (42), Hrtem (15), Angelina (4), Andrea (6), Vanessa (8), Maksim (13) und Ina Kokosh (38) © Gert Köstinger

Auch seine Frau stimmt zu: "Natürlich tut es mir für meine Verwandten leid, aber wir fühlen uns in Österreich sicher und möchten auch nach dem Krieg hier bleiben." Sie möchte, dass ihre Kinder möglichst schnell die Schule und den Kindergarten in Althofen besuchen und Deutsch lernen. Die Aussichten für die Zukunft ihrer Kinder seien hier besser. "Es sind zwei verschiedene Welten. Wir kommen vom Land und dort ist nicht mal die Straße asphaltiert, es gibt nur Plumpsklos. Die Infrastruktur fehlt komplett."

Die Familie stammt aus dem Süden Bessarabiens, das nach dem Zweiten Weltkrieg von Rumänien an die Sowjetunion angeschlossen wurde. Heute ist es Teil der Ukraine, deswegen sprechen die Menschen dort rumänisch und ukrainisch. "Die kleineren Kinder realisieren den Umbruch noch nicht, aber die älteren sind sehr in sich gekehrt und scheu", sagt Mihailo. Sie seien traurig, ihre Freunde nicht mehr zu sehen.

Die Stadtgemeinde hat der Familie Essensgutscheine und Bargeld zur Verfügung gestellt. Am Wochenende werden sie außerdem an der Rot-Kreuz-Tafel in Althofen Lebensmittel für die ganze Woche abholen. Wer der Familie Kokosh helfen möchte, kann sich bei der Gemeinde melden.