Wenn am Heiligen Abend die Nacht über Osttirol hereinbricht, wird es still in dieser Region. Und genau dann erklingen sie: die ersten warmen Töne von Trompeten, Hörnern und Posaunen, die sich über Höfe, Dächer und verschneite Felder legen. Es ist der Moment, in dem das Turmblasen beginnt – ein Brauch, der in nicht wenigen Gemeinden im Bezirk lebendig geblieben ist.

„Man hört uns wirklich überall“

In St. Jakob im Defereggental kommt das Turmblasen seinem Namen bis heute wörtlich nach. Hoch oben im Kirchturm, luftige 20 Meter über dem Boden, stehen die Bläser der Musikkapelle St. Jakob um die Glocke. „Wir sind fünf Leute, die das Turmblasen machen, und wir stehen direkt im Turm“, erzählt Kapellmeister Gerhard Innerhofer: „Jeder hat seinen festen Platz.“ Seit rund 15 Jahren ist Innerhofer selbst dabei, insgesamt wird der Brauch hier bereits seit Jahrzehnten gepflegt. Die Musik trägt weit hinaus ins Dorf. „Man hört uns wirklich überall“, erzählt der Kapellmeister stolz. „Das kommt bei den Leuten immer sehr gut an.“ Und während oben die Bläser spielen, entsteht unten am Kirchplatz ein Ort der Begegnung: Jungmusikanten backen Kekse, Musikantinnen schenken Punsch, Glühwein oder einen Saft aus. So wird das Turmblasen nicht nur zu einem musikalischen Moment.

Hoch über der Sonnenstadt

In Lienz gehört das Turmblasen nach der Christmette bei der Pfarrkirche St. Andrä seit Jahrzehnten ganz selbstverständlich zum Heiligen Abend. Wenn die Kirchentüren sich schließen und die Menschen langsam in die Nacht hinaustreten, steigen die Klänge vom Turm herab und legen sich über die Stadt. Einer, der diesen Moment seit vielen Jahren mitgestaltet, ist Reinhard Wilhelmer von der Stadtkapelle Lienz: „Ich bin seit Mitte der 1970er-Jahre dabei. Ganz früher, Ende der 1960er-Jahre, war das Turmblasen noch aufgeteilt: Am Heiligen Abend spielte die Schützenmusikkapelle Lienz, zu Silvester die Eisenbahner Stadtkapelle.“ Ende der 1970er-Jahre habe dann die Schützenmusikkapelle die Aufgabe alleine übernommen, ehe im Jahr 2000 der Name in Stadtkapelle Lienz geändert wurde. Oben im Turm ist der Platz begrenzt. „Es können nicht viele Leute gleichzeitig hinauf“, sagt Wilhelmer. „Heuer werden wir mit sechs Musikern spielen.“ Unter dem Namen „Patriasdorfer Turmbläser“ stehen sie bereit – allesamt Mitglieder der Stadtkapelle Lienz. Die Musik soll weit tragen, ruhig sein, als stiller Gruß zum Heiligen Abend.

Nach der Christmette erklingen die Bläserklänge vom Turm der Pfarrkirche St. Andrä über die Stadt
Nach der Christmette erklingen die Bläserklänge vom Turm der Pfarrkirche St. Andrä über die Stadt © Pfarre St. Andrä

Die Tradition hat sich über Generationen gehalten

Seit Langem fester Bestandteil ist das Turmblasen ebenso in Matrei. Wann genau der Brauch hier im Iseltal seinen Anfang nahm, lässt sich nicht eindeutig sagen. „Turmblasen gibt es bei uns zumindest schon seit Jahrzehnten“, sagt Lukas Resinger, Obmann der Musikkapelle Matrei. Sicher ist: Die Tradition hat sich über Generationen gehalten – trotz nicht ganz einfacher Bedingungen. Denn gespielt wird auch hier tatsächlich im Turm. „Es ist schon eine Herausforderung, weil es sehr eng ist oben“, berichtet Resinger. Nach der Christmette steigen fünf Bläser der Musikkapelle hinauf und lassen ihre weihnachtlichen Klänge über den Ort ziehen. Am Fuße des Turms wird auch in der Marktgemeinde die Musik zum Treffpunkt: Die Landjugend schenkt Glühwein und Punsch aus, Dorfbewohner bleiben stehen, hören zu, kommen ins Gespräch.

Bläser der Musikkapelle Matrei hoch oben im Kirchturm
Bläser der Musikkapelle Matrei hoch oben im Kirchturm © MK/Matrei

„Der Platz dort oben war immer schon sehr eng“

Im stillen Villgratental wird der Brauch anders, aber nicht weniger stimmungsvoll gelebt. So beginnt in Innervillgraten der Heilige Abend in der Pfarrkirche, wo ein Posaunenquartett der Musikkapelle das Kirchenschiff mit weihnachtlichen Klängen erfüllt. Für viele der eigentliche Auftakt zum Weihnachtsabend. Nach der Christmette geht es hinaus ins Dorfzentrum. „Mein Vater hat früher schon mitgespielt, damals noch vom Kirchturm“, erzählt Christian Mair, Obmann der Musikkapelle Innervillgraten. „Der Platz dort oben war aber immer schon sehr eng.“ Lange Zeit spielte ein Posaunenquartett beim Café Bachmann, vor drei Jahren übernahm die Musikkapelle das Turmblasen neu: „Heute spielen wir mit einem Flügelhorntrio vom Balkon des Höllhauses, der zur Kirche ausgerichtet ist.“

Über 90 Jahre Turmblasen in Außervillgraten

Auch in Außervillgraten ist das Turmblasen seit fast einem Jahrhundert gepflegte Tradition – ebenfalls nicht vom Kirchturm aus. Am Bodenhof versammeln sich die Menschen aus dem Ort, während die Bläser der Musikkapelle ihre weihnachtlichen Weisen anstimmen. Kein großes Spektakel, kein lautes Ereignis und gerade deshalb so besonders. „2023 haben wir 90 Jahre Turmblasen gefeiert“, erzählt Jakob Weitlaner, Obmann der Musikkapelle Außervillgraten. „Der Kirchturm eignet sich bei uns nicht, deshalb spielen wir, seit es den Brauch gibt, beim Bauern am Bodenhof vom Balkon aus.“ Acht Mitglieder der Musikkapelle stehen dort Jahr für Jahr vor und nach der Christmette und begleiten das Dorf hinein in die Feier der Weihnacht. Und wieder hinaus in die klare, kalte Nacht.

Ob im Iseltal, in der Bezirkshauptstadt, in Defreggen oder Villgraten: Sie alle sind Stellvertreter für viele Orte in Osttirol, in denen das Turmblasen am Heiligen Abend noch lebt. Mal vom Kirchturm, mal vom Balkon, mal mitten aus dem Dorf heraus. Wenn also am 24. Dezember die Bläser aufspielen — dann kann man nicht nur hören, sondern auch fühlen.