Wo die Händler im Schatten der mächtigen Kathedrale normalerweise Bücher und Bilder verkaufen herrscht gähnende Leere. Normalerweise drängen sich am Seine-Ufer die Touristen, daran hat auch die Brandkatastrophe von Notre-Dame nichts geändert. Kurz nach dem Feuer, das sich am 15. April zum ersten Mal jährt, waren die Straßen und Brücken rund um das Wahrzeichen vielleicht sogar so voll wie nie.

Notre-Dame steht noch, hat das Feuer schwer beschädigt überstanden - doch nun hat die Corona-Krise die wohl berühmteste Baustelle Frankreichs in einen Dornröschenschlaf versetzt. Seit Mitte März steht alles still. Es ist nicht der erste Rückschlag.

Rückblick: Es war ein lauer Frühlingsabend, als die Nachricht vom Feuer in Notre-Dame die Runde machte. Schnell war klar: Das ist weit mehr als ein kleiner Brand, die Kathedrale drohte einzustürzen - der Vierungsturm auf dem Dach tat es. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron eilte auf die Ile de la Cite - die Seine-Insel, auf der das rund 850 Jahre alte Bauwerk steht. Erst am nächsten Morgen war klar: Das Feuer ist gelöscht, die Kirche vorerst gerettet. Die ganze Welt nahm Anteil, Hunderte Millionen von Spenden kamen für den Wiederaufbau zusammen.

Der gestaltet sich nun schwierig - denn die Sicherungsarbeiten sind ein Jahr später immer noch nicht abgeschlossen. Auf der Baustelle steht ein riesiger Kran, Fenster sind mit Folien verhangen, die mächtigen Strebebögen mit Holz gestützt. Eine schwere Balkenkonstruktion wurde auf die Kirchenmauern gelegt. Es ist eine Operation am offenen Herzen. Doch trotz der schweren Schäden thront Notre-Dame stolz auf der Ile de la Cite.

Noch immer Einsturzgefahr

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"Doch das Problem ist es immer noch, das Gerüst, das auf dem Dach steht, herunterzubekommen. Das abzubauen, ohne dass das Gewölbe einstürzt, ist immer noch das Schwierigste", sagt die frühere Kölner Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner. Sie koordiniert die deutsche Hilfe beim Wiederaufbau. "Solange das Problem nicht gelöst ist, sind im Grunde alle anderen Fragen erst mal zurückgestellt." Vor dem Brand war das Baugerüst für Renovierungsarbeiten auf dem Dach aufgebaut worden. Bei dem Feuer ist es teilweise geschmolzen. Das Problem ist, dass das Dach nicht geschlossen werden kann, solange das Gerüst dort ist.

Dass es 3D-Aufnahmen der Kathedrale vor dem Feuer gibt, ist für den Wiederaufbau eine positive Überraschung gewesen. Ganz anders sieht das beim Thema Blei aus. In der Dachkonstruktion und der Turmabdeckung war tonnenweise davon verbaut. Bei dem Feuer ist es geschmolzen und hat die Umgebung verschmutzt. Im Sommer mussten deswegen die Arbeiten an der Kathedrale sogar unterbrochen werden. "Irgendwie steht das unter einem schlechten Stern. Zunächst war es das Blei, jetzt ist es Corona. Bisher konnte man im Grunde außer Sicherungsarbeiten noch gar nichts machen", sagt Professor Stephan Albrecht von der Universität Bamberg, der am Wiederaufbau mithilft.

Innerhalb von fünf Jahren, das hatte Präsident Macron versprochen, soll die Kathedrale wieder aufgebaut werden. Daran gab es von Anfang an Zweifel, jetzt umso mehr. Je länger es dauert, desto schwieriger ist das auch für die Menschen, die mit der Kirche verbunden sind. Dutzende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in der Kathedrale beschäftigt waren, verloren ihre Jobs. Die Gemeinde war plötzlich heimatlos, sie wurde schließlich in der Pfarrkirche Saint-Germain-l'Auxerrois aufgenommen.

Wann in Notre-Dame wieder Messen gefeiert werden können und wie sehr Corona die Arbeiten weiter verzögern wird - all das ist im Moment unklar. Wie es weitergeht, vermag auch der Pariser Erzbischof Michel Aupetit nicht zu sagen: "Ich bin ein Erzbischof, kein Prophet." Doch er ist überzeugt: Es sei nicht Gott gewesen, der die Coronavirus-Pandemie schuf oder das Feuer verursachte. "Aber Gott kann immer etwas Größeres aus dem Unglück ziehen, das uns trifft."

Der Fonds der Pariser Kathedrale hat nach eigenen Angaben seit dem Brand bis heute gut 375 Millionen Euro an Spenden gesammelt. Davon seien knapp 56 Millionen bereits eingegangen, der Rest seien feste Zusagen. Bei dieser Summe handelt es sich allerdings nicht um die Gesamtsumme der Spenden, da auch andere Stiftungen Geld für den Wiederaufbau gesammelt haben.