Die Appelle kamen in den vergangenen Tagen gehäuft. Wenn die Europäer ihre Heizungen um ein Grad Celsius hinunterregeln, könnte das im Jahr zehn Milliarden Kubikmeter Erdgas einsparen, rechnete die Internationale Energieagentur (IEA) vor wenigen Tagen vor. Und auch die EU-Kommission hat angekündigt, im Ringen um eine Loslösung von russischen Gaslieferungen stärkere Maßnahmen für effizientere Energienutzung setzen zu wollen. Führen die Rekordpreise für Gas und Erdöl nun zu jenen Verhaltensänderungen beim Energieverbrauch, die hierzulande sonst bisher kaum beherzigt worden sind?

Der Ökonom Stefan Schleicher ist skeptisch. "Es stimmt, dass durch kleine Verhaltensänderungen wie die Reduktion der Raumtemperatur ohne Komfortverlust viel zu erreichen ist. Da könnte die Krise kurzfristig etwas bewirken. Aber hohe Preise alleine werden es am Ende nicht richten." Um tatsächlich von den fossilen Rohstoffen wegzukommen, sei laut Schleicher eine Systemtransformation nötig, die strategisches Vorgehen erfordere.

"Fleckerlteppich" statt Konzept

Das Kernelement dafür, ein Energieeffizienzgesetz, ist in Österreich allerdings seit mehr als 14 Monaten ausständig. "Stattdessen haben wir einen Fleckerlteppich an Einzelmaßnahmen. Es fehlt ein Gesamtenergiekonzept und unter diesem Mangel leiden wir jetzt. Wir sind dadurch auf eine solche Krise nicht vorbereitet", sagt Schleicher.

Das bisherige Effizienzgesetz aus dem Jahr 2014 ist mit Ende 2020 ausgelaufen, seither steht Österreich ohne gesetzliche Grundlage für den sparsamen Umgang mit Energie da. Ein Nachfolgegesetz wäre fachlich längst fertig, doch seit Monaten befindet sich das Stück "in regierungsinterner Abstimmung", wie es aus dem Klimaministerium heißt. So hat Österreich zwar gesetzlich festgelegte Pläne für den Ausbau der erneuerbaren Energiegewinnung, aber keinen Fahrplan und kein Monitoring für den Verbrauch insgesamt.

„Wir sind auf eine solche Krise nicht vorbereitet“: Ökonom Stefan Schleicher vermisst eine Strategie für den Umgang mit Energie
„Wir sind auf eine solche Krise nicht vorbereitet“: Ökonom Stefan Schleicher vermisst eine Strategie für den Umgang mit Energie © Sabine Hoffmann

Dass dieser deutlich zurückgefahren werden müsste, um dem Ausstieg aus Gas und Erdöl näherzukommen, ist unter Fachleuten unbestritten. "Es wäre eine Illusion zu glauben, dass wir in Österreich das Volumen an erneuerbarer Energie beliebig vervielfachen können", sagt Schleicher. Nach seinen Berechnungen müsste Österreichs Endenergieverbrauch bis 2030 auf höchstens 950 Petajoule sinken, damit das Ziel einer Klimaneutralität samt Ausstieg aus fossilen Brennstoffen realistisch bleibt. Vor Ausbruch der Pandemie im Jahr 2019 lag der Wert bei 1140 Petajoule, im Coronajahr 2020 bei rund 1050.

Untaugliches Gesetz

Zahlen, die für Schleicher auch belegen, dass das alte Effizienzgesetz untauglich war. Dieses hatte Energielieferanten, vom Stromanbieter bis zum Tankstellenbetreiber, zu Effizienzmaßnahmen verpflichtet, um den Verbrauch der Kunden zu senken. Der Effekt ließ sich am Ende nicht an den Verbrauchsdaten ablesen. "Ansetzen müsste man bei den Inverkehrbringen, also etwa bei den Raffinerien und Importeuren. Auch die Verwalter großer Wohnanlagen wüssten sehr genau, wie man Energie produktiver einsetzen kann", sagt Schleicher.

Die Potenziale wären groß. "Bei den Gebäuden, die 40 Prozent unserer Energie schlucken, ließe sich der Verbrauch um 80 Prozent zurückfahren. In der Mobilität ist es komplizierter, aber auch da wäre bei entsprechender Systemänderung ähnlich viel drin", sagt Schleicher. Am schwierigsten wären Einsparungen in der produzierenden Wirtschaft umzusetzen.

Die Maßnahmen müssten für den Ökonomen breit gestreut sein, von der Raumordnung über energetische Auflagen in der Wohnbauförderung samt lukrativen Sanierungsangeboten bis zu Niedertemperaturwärmenetzen und Fonds, die Effizienzprogramme finanzieren. "Wir brauchen eine Diskussion, was wir sofort umsetzen und was in den nächsten fünf Jahren", sagt Schleicher.

Bislang allerdings zeigen die Verbrauchswerte bei der Energie wieder steil nach oben. Für Schleicher ein "Alarmsignal", das politisch viel zu wenige beachtet werde.