Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) kritisiert die Situation in den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln Samos und Lesbos scharf. MSF-Präsident Christos Christou fordert alle EU-Staats- und Regierungschefs auf, zu handeln. In Österreich erging der offene Brief an Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein und Außenminister Alexander Schallenberg, hieß es in einer Aussendung am Mittwoch.

Schockiert

Er sei gerade von den griechischen Inseln zurückgekehrt und schockiert über das, was er gesehen und von seinen Kollegen vor Ort gehört habe, so Christou. "Sie erzählten mir von einem zwölfjährigen Buben, der in unsere Klinik in Moria auf Lesbos kam, nachdem er sich wiederholt mit einem Messer selbst am Kopf verletzt hatte. Sie erzählten mir von einem neunjährigen Mädchen mit schweren Verletzungen von einer Bombenexplosion in Afghanistan. Als sie in Griechenland ankam, lächelte sie noch. Aber in den Monaten, in denen sie auf Lesbos festgehalten wurde, hat sie aufgehört zu reden und zu essen und sich vollständig aus dem Leben zurückgezogen", schreibt der MSF-Präsident.

Schlafplatz mit völlig Fremden

Doch nicht nur Kinder seien gefährdet. Überlebende von Folter müssten Monat um Monat ihren Schlafplatz im Zelt mit völlig Fremden teilen. "Opfer von sexueller Gewalt berichten unserem Team in Vathy auf Samos, dass sie aus Angst vor Angriffen nachts die Toiletten nicht benutzen", so Christou.

Die UNO forderte Griechenland "dringend" auf, die "miserablen" Bedingungen in den Flüchtlingscamps auf den Ägäis-Inseln zu verbessern. "Wir können nicht akzeptieren, dass Menschen unter so widrigen Bedingungen leben und Gewalt und Ausbeutung ausgesetzt sind", sagte UNO-Flüchtlingskommissar Filippo Grandi nach einem Besuch eines Lagers auf der Insel Lesbos.

Schon 2016 hätte MSF vor den humanitären Konsequenzen des Deals der EU mit der Türkei gewarnt. "Wir haben sogar beschlossen, aus Protest kein Geld mehr von den EU-Mitgliedsstaaten anzunehmen. Heute sehen wir das Ergebnis Ihrer Entscheidung: ein chronischer Notstand und ein fortwährender Kreislauf menschlichen Leids", betont Christou in dem offenen Brief an die Staats- und Regierungschefs der EU.

Verschlechtert

In den vergangenen vier Jahren hätte sich die humanitäre Situation verschlechtert statt verbessert. Eine Frau, ein Kind und ein neun Monate altes Baby seien allein in den vergangenen drei Monaten gestorben - wegen der unsicheren und entsetzlichen Bedingungen in Moria und wegen des Fehlens grundlegender Unterstützung. "Sie suchten Sicherheit in Europa und fanden den Tod in einem europäischen Aufnahmelager."

Ärzte ohne Grenzen könnten diese "himmelschreiende Missachtung der Menschenwürde" nicht akzeptieren, schreibt Christou. So fordert er: "Stoppen Sie die bewusste, kollektive Bestrafung von Menschen, die in Europa Sicherheit suchen. Bringen Sie dringend die besonders gefährdeten Menschen aus diesen Lagern in sichere Unterkünfte in anderen europäischen Staaten. Beenden Sie die Politik der Abschottung."