Pflanzen erobern die durch Gletscherschmelze freigewordenen Flächen außerordentlich schnell. Das zeigten Wissenschafter der Instituts für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Innsbruck. Diese Besiedelung verringert das Risiko von Murenabgängen, berichten die Forscher im Fachjournal "Nature Scientific Reports".

Seit Jahrzehnten schrumpfen die Gletscher in den Alpen. Die Wissenschafter haben sich für ihre Studie dem Jamtalferner im Tiroler Silvrettagebirge gewidmet, der seit 1864 mehr als 53 Prozent seiner Fläche verloren hat. Durch eine neue Kombination von Satellitenbildern und im Gelände erhobener Daten zur Vegetationsentwicklung konnten sie genau beobachten, wie sich die Pflanzendecke über die vergangenen Jahrzehnte entwickelt hat.

Mehr Pflanzenarten

Demnach ist die Zahl der unterschiedlichen Pflanzenarten am Jamtalferner von zehn bis 20 nach nur wenigen Jahren der Eisfreiheit auf bis zu 50 nach einem Jahrhundert angestiegen. "Die Pflanzenwelt erobert in relativ kurzer Zeit Flächen zurück, in denen zuvor über Jahrhunderte keine Pflanze gedeihen konnte. Diese Dynamik war uns vorher nicht bekannt", erklärte Studienleiterin Andrea Fischer.

Für Ko-Autor Thomas Fickert von der Uni Passau scheint die Besiedelung der eisfreien Gletschervorfelder "heute tatsächlich schneller abzulaufen als nach dem Ende der Kleinen Eiszeit". Und das, obwohl sich die heute an der Besiedelung beteiligten Arten und die zugehörigen Besiedelungsprozesse nicht grundlegend von den damaligen unterscheiden.

Die nachwachsende Vegetation hat eine stabilisierende Funktion, da das Erdreich von Wurzeln durchzogen wird. Dadurch bestehe ein niedrigeres Risiko für Murenabgänge, weil die Wurzeln bei Regen den Abtrag des Untergrundes verlangsamen.

Die Wissenschafter wollen in Folgestudien ihre Methode, Satellitenbilder und Vor-Ort-Erhebungen des Pflanzenwuchses kombinieren, optimieren und auf weitere Gletschergebiete in Österreich ausweiten, um Pflanzenwachstum und geologische Folgen im Hochgebirge noch genauer analysieren zu können. Zudem widmen sie sich in einem neuen Projekt dem Sedimenttransport im Vorfeld von Gletschern und dessen Gefahrenpotenzial für Alpentäler.