Der noch glimpflich ausgegangene Schiffsunfall in der Lagune von Venedig hat nun auch juristische Folgen. Die Staatsanwaltschaft leitete am Montag ein Ermittlungsverfahren ein. Gegen sechs Personen wird ermittelt, darunter den Kapitän des Kreuzfahrtschiffes "MSC Opera", das am Sonntagmorgen unkontrolliert auf eine Hafenmole zusteuerte und ein Ausflugsboot rammte. Vier Personen wurden dabei verletzt. Techniker der Staatsanwaltschaft untersuchen nun den Motor des Schiffes, am Freitag kann die "MSC Opera" möglicherweise wieder auslaufen, berichten italienische Medien.

Rund 25 Millionen Touristen kommen jedes Jahr nach Venedig, das sind etwa 70.000 Menschen am Tag. Die Inselstadt hat nur noch etwas mehr als 50.000 Einwohner, von einem authentischen Stadtleben kann schon länger keine Rede mehr sein. Aber Venedig ist Venedig, ein architektonisches Juwel, das ob seiner Einzigartigkeit eines der großen Touristenziele weltweit ist. Das Leben auf dem Wasser ist der große Reiz Venedigs – und sein Verhängnis.



Einmal im Leben Venedig zu sehen, am besten vom Meer aus über die Lagune am Markusplatz einzulaufen und das auf Fotos festzuhalten – das ist der Traum vieler Menschen. Fast 1,6 Millionen Passagiere erfüllen ihn sich jährlich. Etwa 2000 Kreuzfahrtschiffe fahren jedes Jahr über die Adria in die Lagune und schließlich in den stark befahrenen Giudecca-Kanal mit seinem atemberaubenden Blick auf die Kulisse der Stadt ein. Es ist der Höhepunkt jeder Mittelmeer-Kreuzfahrt. Auch die "MSC Opera" fuhr auf dieser Route, bis sie kurz vor der Landung in San Basilio außer Kontrolle geriet. Offenbar war ein Motorschaden der Grund dafür.

Die Debatte über die Kreuzfahrtschiffe in Venedig zieht sich schon seit Jahren hin. 2012 schien endlich eine Entscheidung gefallen. Damals erregte ein anderer, weit schlimmerer Unfall die Gemüter weltweit. Vor der Toskana-Insel Giglio sank wegen eines waghalsigen Manövers die "Costa Concordia", 32 Menschen kamen ums Leben. Was würde bei einem vergleichbaren Vorfall in der Lagune von Venedig passieren? So lautete damals die Frage.

Die italienische Regierung erließ infolge der Giglio-Katastrophe ein Dekret, in dem eine Regelung für den Giudecca-Kanal festgehalten wurde. Schiffe mit mehr als 40.000 Tonnen dürfen den Kanal nicht mehr passieren. Die "MSC Opera" hatte über 66.000. Der Grund für die bisherige Wirkungslosigkeit des Dekrets ist der Schutz der Tourismus-Industrie. In einem Passus wurde festgehalten, das Durchfahrtsverbot würde erst nach der Fertigstellung einer Alternativpassage gelten. Diese gibt es bis heute nicht, deshalb lief auch die "MSC Opera" am Sonntag in Venedig ein.



Die Kreuzfahrtindustrie ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für die Stadt.
Die Ausgaben der Schiffstouristen belaufen sich auf schätzungsweise 150 Millionen Euro jährlich. 3000 Arbeitsplätze sind direkt mit der Kreuzfahrtindustrie verbunden. In Mestre am Festland werden Großhotels gebaut, nicht zuletzt für Schiffstouristen. Dass die Alternativlösung bis heute nicht existiert, hat mit wechselnden Regierungen in Italien zu tun. Die amtierenden Koalitionspartner der Fünf-Sterne-Bewegung und der Lega schieben sich nun gegenseitig die Schuld zu. Am Montag fand eine Dringlichkeitssitzung im Verkehrsministerium statt.

Route bald weiter südlich in der Lagune?

Wahrscheinliche Lösung: Die großen Schiffe werden nicht mehr über den Giudecca-Kanal, sondern weiter südlich in die Lagune einlaufen und am großen Schiffsterminal anlegen. Dazu muss der Kanal Vittorio Emanuele III. noch ausgebaggert werden, es kann also noch dauern.

Bürgerinitiativen wie das Komitee "No Grandi Navi" protestieren seit Jahren gegen die Kreuzfahrtindustrie. Sie fordern, die Einfahrt der Riesenschiffe in die Lagune müsse verboten werden. Die Schiffe sollten außerhalb anlegen, etwa in Chioggia, denn: Die Unterwasserverdrängung der Schiffe fördere die Erosion des wackeligen Untergrunds der Stadt. Das Ökosystem der Lagune sei gefährdet, auch ob der Luftverpestung durch die Ozeanriesen.

"Venedig ist nur zu retten, wenn die Lagune gerettet wird", sagt Lidia Fersuoch vom Umweltverband Italia Nostra. Dass Umweltschützer erhört werden, ist unwahrscheinlich. Allein an diesem Wochenende werden 13 Ozeanriesen erwartet.