Der Sonntag sollte ein Festtag in Venedig werden. Anlässlich des italienischen Nationalfeiertags war eine Regatta in der Lagune geplant. Dann kam alles anders. Am Morgen rammte im Giudecca-Kanal ein Kreuzfahrtschiff ein an der Mole liegendes Ausflugsboot. Vier Menschen wurden leicht verletzt, mehrere Passagiere sprangen ins Wasser. Der Kreuzfahrt-Riese verlor nach ersten Erkenntnissen beim Anlanden an der Hafenmole die Kontrolle und beschädigte das parkende, kleinere Boot. In Venedig läuft nun die Debatte um den Kreuzfahrt-Tourismus auf vollen Touren.

Lokalzeitungen schrieben zunächst vom „Drama in der Lagune“. Von „Momenten der Panik“ wurde berichtet. Dieser Eindruck drängte sich beim Betrachten einiger Amateurvideos auf, die den Unfall festhielten. Der Kapitän des wegen eines Motorschadens nicht mehr steuerbaren Schiffs betätigte minutenlang das Schiffshorn, um vor dem Aufprall zu warnen. Auf der Mole brach Panik aus. Auf einem Video ist zu sehen, wie Schiffspersonal und Passagiere orientierungslos vor dem langsam nahenden Ozeanriesen flüchten. Menschen schreien, man hört die tränenerstickte Stimme einer Frau.

Glimpflicher Ausgang

Der Unfall ging offensichtlich glimpflich aus. Vier Menschen, die auf dem Ausflugsboot waren, wurden nur leicht verletzt. Das Ausflugsboot „River Countess“ wurde schwerer beschädigt, auch die Hafenmole trug Beschädigungen davon. Als Ursache wurde ein Motorschaden beim einlaufenden Schiff „MSC Opera“ festgestellt. „Der Kapitän meldete eine Havarie des Motors. Der Motor war blockiert, aber im Fortbewegungs-Modus“, sagte Davide Calderan zur Nachrichtenagentur Ansa. Calderan ist Chef der Firma, deren zwei Schlepper das Kreuzfahrtschiff an die Mole manövrieren sollten. Beim Manöver riss offenbar wegen des Motorschadens das Seil, das einen der Schlepper mit der „Opera“ verband. Die Unfallstelle vor Venedigs Altstadt wurde abgesperrt, zwei Hubschrauber kreisten.

Seit Jahren wehren sich Bürgerinitiativen gegen die Durchfahrt der Kreuzfahrtschiffe durch den Kanal und die Einfahrt in die Lagune generell. Die wirtschaftlich einflussreichen Reise- und Touristikunternehmen legen jedoch besonderen Wert auf die spektakuläre Passage für ihre Passagiere aus aller Welt. Trotz aller Proteste wurde die spektakuläre, aber wegen des starken Schiffsverkehrs nicht ungefährliche Route bislang beibehalten.

Kritik am Kreuzfahrttourismus

Die Umweltschützer vom Komitee „No Grandi Navi“ bemängeln zum einen die Luftverschmutzung. Jedes Kreuzfahrtschiff stoße Abgase wie 14.000 Autos gleichzeitig aus. Noch gefährlicher soll die Unterwasserverdrängung durch die Schiffe in der Lagune sein, die die Erosion des Untergrunds der Stadt mit unkalkulierbaren Folgen vorantrieben. Schließlich sei das Ökosystem der Lagune bedroht.

Außerdem tragen die Passagiere mit ihren Kurzbesuchen dazu bei, dass Venedig seinen Charakter als Stadt immer mehr verliert und zu einer Art Vergnügungspark wird. 25 Millionen Touristen überfluten Venedig jedes Jahr, unter ihnen viele Kreuzfahrttouristen. Die bringen schnelles Geld. Immer mehr Souvenirshops, Hotels und Restaurants machen auf. Die Stadt labt sich an den teuren Landungsgebühren.

Suche nach Alternativlösungen

Nach dem Unfall mehren sich Stimmen, die Alternativlösungen für Kreuzfahrtschiffe fordern. Bürgermeister Luigi Brugnaro sagte, es sei „nicht mehr denkbar, dass die großen Schiffe den Giudecca-Kanal durchqueren“. Eine bereits anvisierte Alternativlösung, der zufolge Schiffe mit mehr als 40.000 Tonnen im Hafen von Marghera anlegen müssen, ist aber immer noch nicht realisiert. Auch Verkehrsminister Danilo Toninelli sprach sich für die Landung in Marghera aus: „Nach vielen Jahren des Stillstands sind wir nun einer definitiven Lösung nahe, durch die die Lagune und der Tourismus in Venedig geschützt werden.“