Und dann meinte der Händler zu mir, du kannst ja nicht einfach so mitfahren.“ Eigentlich wollte Irmgard Kirchner ihrem Mann nur eine kleine Freude machen. Einmal Harleyfahren, für den leidenschaftlichen Biker ein perfektes Geschenk. Seine Gattin saß bereits auf ihrem japanischen Motorrad in kompletter Montur, um hinterherzufahren, aber der Händler befand, die Dame müsse auch mit einer „V-Twin“ ausgerüstet werden – und der Rest ist Geschichte: Ihr altes Zweirad fuhr sie nur noch zweimal, die V-Rod war kurz darauf bestellt. „Man kann einem, der noch nie auf einer Harley gesessen ist, nur schwer erklären, was diese Mopeds ausmacht“, erzählt Kirchner rückblickend über ihren Moment, als der Virus übergesprungen ist. Moped als Kosename ist da erst der Anfang. „Nach der ersten Ausfahrt hast du ihn drin oder vielleicht auch nie. Aber bei mir geht er nicht mehr weg.“

Willkommen in der Welt von Harley-Davidson. Den Bikes aus Milwaukee mit zwei Zylindern, kernigem Blubbern und unverkennbaren Formen. Der Einstieg wird einem mit kompakteren Modellen wie SuperLow und StreetBob immer leichter gemacht.

Ein Bobber der Neuzeit

Doch ist das dann noch echtes Harleyfahren? Und überhaupt: Was ist es, das diese Motorräder eigentlich so speziell macht?

Das kann nur jemand beantworten, der den Mythos Harley wirklich lebt, und Frau Kirchner scheint dafür die perfekte Person zu sein. Wir baten zum Rendezvous mit der neuen Softail Slim. Schlank und drahtig steht sie da, glänzt in der Sonne in Chrom und in den unterschiedlichsten Schwarztönen. Die Softail Slim ist eine spannende Kombination aus dem klassischen, rohen Bobber-Stil mit einem modernen 1,7-Liter-Zweizylinder mit zwei Nockenwellen. Dazu große Bremsen, verborgene Federung, alles auf dem neuesten Stand. „Natürlich muss man sich ein wenig umgewöhnen, weil der Schwerpunkt deutlich tiefer ist, aber den Rest hat man schnell im Griff.“ Entsprechend vertraut schwingt sich Kirchner in den Sattel, kickt den ersten Gang rein und düst los.

Zwischenstopp auf einem Parkplatz am Stadtrand. Der Feierabendverkehr wälzt sich gemächlich hinter den Lärmschutzwänden stadtauswärts, das konstante Rauschen wirkt ohne Zweizylinderblubbern erschreckend monoton. Zwischen all den silbernen Kombis und graufarbenen Kompakt-SUV sticht die chromglänzende Softail Slim unweigerlich heraus, doch was wichtiger ist: Wie fährt sie sich denn jetzt? „Eine runde Sache. Mit den weit vorne montierten Fußrasten liegt sie sehr ruhig, ein echt feines Moped.“ Ob sie ein geeignetes Anfängermodell darstellt? „Absolut, aber es kommt auch auf die Körpergröße an. Wenn man zart gebaut ist, würde ich eher zur Sportster raten. Aber die neue Softail ist definitiv für Mann und Frau geeignet. “ Und dennoch: Einen kleinen Kritikpunkt gibt es: „Der Auspuff gehört noch gemacht, damit sie nicht nur nach Harley aussieht, sondern auch nach Harley klingt!“

Keine gleicht der anderen

Schließlich ist die individuelle Note ein weiterer Punkt des ganz speziellen Flairs dieser Motorräder. Jede sieht ein wenig anders aus. „Wenn man will, wird man nie fertig“, berichtet Irmgard Kirchner schmunzelnd von ihren Beobachtungen. „Nach oben gibt es eigentlich keine Grenzen. Man fängt mit Kleinigkeiten an und hört irgendwann hoffentlich mal auf.“ Ihr Gatte baute sein Exem­plar gleich komplett um. „Er hat das gleiche Modell wie ich, nur sieht seine komplett anders aus.“ Gleiches Modell? 2010 war es nämlich Zeit für eine neue Harley. „Wenn du weiter weg fahren willst, hast du bei der V-Rod das Problem, dass du nichts unterbringst. Bei der Road King kannst du alles in die Koffer packen, sitzt bequem oben und dank des großen Windschilds ist dir auch das Wetter ziemlich wurscht.“ Rund 17.000 Kilometer legt das Ehepaar Kirchner mit ihren Road Kings pro Jahr zurück. Nach Slowenien, Italien, aber auch zum Harley-Treffen in Faak am See.

Fahren, nicht spazieren

Dort entdeckte das Ehepaar eine weitere Besonderheit: Die familiäre Atmosphäre. „Harley-Fahrer fangen garantiert miteinander zu quatschen an. Wo man herkommt, welchen Motor man fährt und so weiter.“ Berührungsängste gibt es keine: „Es geht nur ums Fahren und die einzelnen Charaktere machen diese Runde ja erst interessant. Da sind schon nette Freundschaften entstanden.“ Wie etwa die Ladies Ride, eine Ausfahrt mit rund 50 ausschließlich weiblichen Teilnehmern – und einem guten Zweck: Spenden werden gesammelt, die voll und ganz den heimischen Frauenhäusern zugute kommen.
Auf gehts zur zweiten Etappe, zurück zum Harley-Händler. Die zahlreichen Blicke auf diversen Vertreterkombis zeigen: Auch mit einer serienmäßigen Harley fällt man auf. Vor allem bei Männern. „Als Frau wirst du immer drauf angeredet, wie man denn nur mit so einem schweren Bike fahren kann. Aber ich fahre ja damit und trage sie nicht spazieren.“ Doch was ist jetzt das Spezielle daran? „Du fährst einfach anders damit. Man kann auch zügig unterwegs sein, aber das macht es nicht aus.

Straßenbikefahrer konzentrieren sich ja vor allem auf die Geschwindigkeit und sehen meist nur die weißen Linien auf dem Asphalt. Auf einer Harley indes cruist du entspannt durch die Landschaft, siehst mehr von der Gegend und hast den Kopf im Nu wieder frei.“