Der Vorstoß der deutschen Bundesregierung für einen kostenlosen öffentlichen Nahverkehr ist auf ein geteiltes Echo gestoßen. Kommunalverbände begrüßten die Überlegungen zwar grundsätzlich - forderten aber zugleich, dass die Finanzierung sichergestellt werden müsse.

"Der Bund muss sagen, wie er so etwas bezahlen möchte", sagte der Präsident des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU), der Mainzer Oberbürgermeister Michael Eblin. "Zudem stelle ich mir die Frage, wie das in der Praxis umgesetzt werden soll."

Die deutsche Regierung erwägt zur Verbesserung der Luftqualität Länder und Kommunen bei der Einführung eines kostenlosen öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) finanziell zu fördern. Damit soll die Zahl privater Fahrzeuge - und damit auch dreckiger Dieselautos - verringert werden. Das geht aus einem Brief von Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD), Verkehrsminister Christian Schmidt (CSU) und Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) an EU-Umweltkommissar Karmenu Vella hervor.

"Keine Denkverbote" bei Vermeidung von Verboten

Hintergrund der Überlegungen ist Druck aus Brüssel. Deutschland droht eine EU-Klage, weil seit Jahren in vielen Städten Grenzwerte für den Ausstoß von Stickoxiden nicht eingehalten werden - diese gelten als gesundheitsschädlich. Daneben drohen in Deutschland gerichtlich erzwungene Fahrverbote für Diesel-Fahrzeuge.

"Bei der Vermeidung von Fahrverboten darf es keine Denkverbote geben. Daher ist jeder der Vorschläge überlegenswert, um die Luft sauberer zu machen", sagte Ebling. "Kostenloser Nahverkehr ist eine visionäre Vorstellung, die auf jeden Fall mehrere Testballons braucht. Denn so einfach ist das nicht." Mehr Menschen zu befördern, bedeute auch neue Busse und Straßenbahnen zu kaufen und an die infrastrukturellen Gegebenheiten und Zeitpläne anzupassen. "Kurzfristig lässt sich so etwas nicht umsetzen."

Der Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer sagte, die Große Koalition sei beim öffentlichen Verkehr in den Städten seit Jahren weitgehend untätig. "Nun in einem Brief an Brüssel mit Vorschlägen zu kommen, die im Koalitionsvertrag nicht mal erwähnt sind, ist unglaubwürdig." Ein kostenloser ÖPNV sei interessant, löse aber nicht das akute Problem schmutziger Luft. "Um wirklich etwas gegen dreckige Luft zu tun, brauchen wir die blaue Plakette und Verpflichtung zur Nachrüstung von manipulierten Fahrzeugen auf Kosten der Hersteller. Doch dem verweigert sich die Bundesregierung seit Jahren."

Dichtere Taktung

Der Grünen-Verkehrspolitiker Stephan Kühn nannte die Idee verlockend. "Doch die plakative Forderung geht am Ziel vorbei." Wer den öffentlichen Verkehr stärken wolle, müsse schnell dafür sorgen, dass Busse und Bahnen im dichteren Takt verkehren und so die heute schon steigende Fahrgastnachfrage befriedigen können.

Der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), Jürgen Resch, kritisierte, der Brief enthalte an keiner Stelle eine klare Zusage, sondern erneut "wolkige Ankündigungen". Zwar sei ein möglicher kostenloser Nahverkehr ein richtiger Schritt. "Nur muss dazu auch die über Jahre kaputtgesparte Infrastruktur passen."

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund reagierte zurückhaltend. "Das kann höchstens ein langfristiges Zukunftsprojekt werden", sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg der "Rhein-Neckar-Zeitung" (Mittwoch). Erforderlich seien deutlich mehr Fahrzeuge und Personal. Und es stelle sich die Frage, wer die Kosten trägt. "Die Kommunen und Verkehrsbetriebe können es jedenfalls nicht bezahlen", sagte er.

EU-Kommission droht mit Klagen

Ein kostenloser ÖPNV etwa in Hamburg wäre wohl extrem teuer. Der städtische Verkehrsverbund HVV erziele durch Fahrscheinverkäufe jährlich rund 830 Millionen Euro (2017). "Das ist in etwa eine 'Elphi' pro Jahr", sagte ein Sprecher. Diese Mittel müssten bei einem Gratis-Angebot zusätzlich vom Steuerzahler aufgebracht werden. Die Hamburger Elbphilharmonie ("Elphi") hat knapp 800 Millionen Euro gekostet.

Die EU-Kommission droht insgesamt neun EU-Staaten - auch Frankreich, Spanien, Italien, Großbritannien, Rumänien, Ungarn, Tschechien und Slowakei - mit Klagen, wenn diese nicht Maßnahmen zur Verbesserung ihrer Luftqualität ergreifen. Laut der Kommission sterben jedes Jahr 400.000 Menschen in der EU an den Folgen von Luftverschmutzung. Gegen Österreich hat die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren wegen der NO2-Belastung (Stickstoffdioxid) gestartet. Bei den neun aktuell verwarnten Staaten sind die Vertragsverletzungsverfahren bereits weiter fortgeschritten. Bulgarien und Polen sind deswegen schon von der EU-Kommission vor dem EU-Gerichtshof verklagt worden.