Welche Reaktionen haben Sie auf das "profil"-Interview erhalten, in dem Sie einer Gruppe von Austro-Oligarchen vorgeworfen haben, die OMV in eine Russland-Abhängigkeit gedrängt zu haben?
GERHARD ROISS: Ich habe unzählige SMS bekommen, weit mehr als an meinem Geburtstag. Der Tenor, der sich durchzieht, ist Dank für den Mut und die Klarheit, die Dinge anzusprechen. 

Es gab bereits 2015 Gerüchte, wonach eine Lobby rund um Siegfried Wolf Druck in Richtung stärkerer Russland-Geschäfte gemacht habe. Haben Sie das gespürt?
Ich habe bisher keinen Kommentar zu bestimmten Personen abgegeben und werde dies auch künftig nicht tun. Mir geht es um die Sache, um die Versorgungssicherheit mit Gas. Das ist nicht irgendein Produkt, das man im Supermarkt kaufen kann. Eine Abhängigkeit bei einem Gas-Lieferanteil von bis zu 90 Prozent ist ungesund, teuer und gefährlich – egal, um welches Gas-Lieferland es sich handelt. Am Gas hängen Hunderttausende Haushalte und die Industrie: Da darf man nicht nur Gewinnmaximierung betreiben, da ist der Versorgungscharakter zu beachten.

Was haben Sie in Ihrer OMV-Zeit getan, um diese Abhängigkeit um russischen Gas zu reduzieren?
Meine Strategie war, Norwegen als neue und sichere Kernregion in der OMV aufzubauen. Wir haben circa drei Milliarden Euro in Norwegen investiert, mit dem Potenzial, große und sichere Öl- und Gasreserven für den österreichischen Markt zu erschließen. Heute werden fast drei Milliarden Kubikmeter eigenes Gas gefördert, welches – so man es an österreichische Kunden verkaufen würde – zu einem Drittel zur österreichischen Gasversorgung beitragen könnte.

Warum wurde von Ihrem Nachfolger versucht, Teile des norwegischen Geschäfts an Gazprom zu verkaufen?
Man wollte es gegen ein Gasfeld in Russland (Anm: Achimov) tauschen. Glücklicherweise hat es die norwegische Regierung nicht erlaubt.

Und wo ist dieses norwegische Gas jetzt?
Diese Frage müssen Sie der OMV stellen. Offensichtlich wurde es zum Großteil in Deutschland und Belgien verkauft.

Ließen sich damit die OMV-Gasspeicher füllen?
Ja, so man dies will. Ich war schon irritiert zu sehen, dass der Lagerstand in den OMV-Lagern zu Jahresende nur bei 46 Prozent war. Ich erinnere mich noch in meiner Zeit als OMV-Generaldirektor an Anrufe von Mitterlehner, der sich als Wirtschaftsminister schon im September über die Füllstände der Lager persönlich informiert hat. Ein Reagieren wäre damals im Oktober erfolgt und nicht erst jetzt, wo man mit dem Rücken zur Wand steht. Als OMV-Manager fühlte ich mich für die Versorgung Österreichs mit Gas verantwortlich, ist doch der Staat Kernaktionär. Erschreckt hat mich der Füllstand von nur acht Prozent des Gazprom-Lagers in Haidach. In Vorjahren waren die Lagerstände in Österreich bei 70 bis 80 Prozent.

Ein Drittel aus Norwegen hätte aber nicht ausgereicht.
Die OMV hat 2012 im Schwarzen Meer einen großen Gasfund getätigt, genannt Neptun-Gasfeld. Dieser sollte bis 2021/22 entwickelt werden, um Länder wie Rumänien und Österreich mit Gas zu versorgen. Mein Ziel war, ein weiteres Drittel der österreichischen Gasversorgung aus dem Neptun-Gasfeld decken zu können.

Warum wurde das Feld nach Ihrem Abgang nicht weiterentwickelt?
Das kann ich nicht beurteilen. Mich freut aber, dass die OMV die Absicht hat, das Projekt weiterzuverfolgen.

Unter Ihrem Nachfolger Rainer Seele folgte der Strategieschwenk: Russland wurde zu einer OMV-Kernregion ausgebaut. Warum?
Die medial bekannten Beweggründe waren die niedrigen Produktionskosten in Russland. Möglicherweise gab es noch andere Motive.

Wurde deshalb eine Milliarde Euro in Nord Stream 2 investiert?
Dieses Investment ist für mich nicht nachvollziehbar. Man darf in dieser Pipeline, die von Russland nach Deutschland führt, kein eigenes Gas aus Russland exportierten. Ich erachte Nord Stream 2 für den österreichischen Markt als nicht relevant und lediglich politisch motiviert. Die OMV bezieht das meiste Gas über Ukraine-Pipelines – frei Haus.

Es steht die Drohung im Raum, kein Gas durch Nord Stream 1 zu leiten. Was würde das bedeuten?
Das scheint eine gegen Deutschland gerichtete Aktion zu sein. Unser russisches Gas kommt über die seit 1968 existierende Pipeline via Ukraine zum Gasknoten Baumgarten. Für Österreich aus meiner Sicht kein großes Bedrohungsszenario.

Die OMV hat bekannt gegeben, dass sie alle Russland-Investments abschreiben muss, Russland keine Kernregion mehr ist und dort nicht mehr investiert wird. Eine späte Genugtuung für Sie?
Genugtuung nicht, aber Bestätigung. Ich habe immer abgelehnt, in Russland zu investieren. Bedauerlicherweise sind meine damaligen Risikoannahmen eingetroffen. Bestätigt hat sich aber auch, dass mein strategischer Schritt in das sichere Norwegen ein richtiger war. Norwegen ist heute offensichtlich der zweitgrößte Gewinnbringer der OMV im Öl- und Gasgeschäft vor Steuern.

Regierungsvertreter waren gerade in Abu Dhabi und Katar, um Flüssiggas einzukaufen. Ist das sinnvoll?
Es lässt sich medienwirksam gut verkaufen. Ein Meilenstein, um die Abhängigkeit von russischem Öl und Gas zu reduzieren, wie kommentiert wurde – das ist aber an der Realität vorbei gesprochen.

Was sollte die Regierung nun tun?
Man sollte sich den Prioritäten stellen: das eigene OMV-Gas nach Österreich bringen und die heimischen Gaslagerstätten füllen. Sämtliche Gaslager auf österreichischem Boden inklusive jener der Gazprom sollten dem österreichischen Bedarf zugeführt werden. (Anm.: Haidach, das mit Abstand größte Gaslager auf österreichischem Boden, versorgt primär den deutschen Markt und gehört zur Hälfte der Gazprom.) Die Regierung sollte die OMV bei der Transportfrage – einer Pipeline von Rumänien nach Österreich – unterstützen (Anm. Neptun-Gas). Weiters sollte man die Ökologisierung der Energieerzeugung beschleunigen. Wichtig wären auch Einsparungskonzepte für den Gasverbrauch: Es ist den Österreichern zumutbar, ihre Zimmertemperatur im kommenden Winter um ein bis zwei Grad zu senken. Jeder Cent, der damit eingespart wird, fehlt Putin in der Kriegskassa.

Warum ist der Kurs der OMV-Aktie in den vergangenen Wochen um mehr als 30 Prozent – und damit weit stärker als jener anderer Ölkonzerne – eingebrochen?
Bei einem derartigen Ölpreisanstieg auf mittlerweile 120 Dollar je Barrel würde man das Gegenteil erwarten. Hier schlägt aber das OMV-Engagement in Russland durch. Die OMV wird mehr gestraft, als sie zu strafen wäre. Mein Norwegen-Investment hat sich anfangs nicht im Kurs abgebildet, erst Jahre später wurde es eingepreist. Gleiches gilt für die Borealis. Man sieht, dass der Kapitalmarkt einige Zeit braucht, bis er den Wert beziehungsweise den Nicht-Wert von Akquisitionen abbildet. Stern hat offenbar ein schweres Erbe angetreten.

Wie beurteilen Sie im Licht der aktuellen Entwicklungen den Verkauf der Agrolinz an einen russischen Oligarchen?
Mit dem Wissen von heute würden wir die österreichische Landwirtschaft bezüglich ihrer Düngemittelversorgung von Entscheidungen im Kreml abhängig machen.