Vor 100 Jahren, im Jahr 1921 wurde die Steweag als Vorgänger der Energie Steiermark gegründet. Der Historiker Stefan Karner hat die Geschichte umfassend und kritisch aufgearbeitet, die Publikation wird heute am Abend erstmals präsentiert. Hat Sie bei dieser Aufarbeitung selbst etwas überrascht?
CHRISTIAN PURRER: Im Arbeitsalltag befasst man sich natürlich nicht so mit dem Blick in den Rückspiegel, aber es gab da schon überraschende und spannende Facetten, insbesondere die Entwicklung von einem immer wieder von Schwierigkeiten und finanziellen Engpässen gebeutelten Unternehmen, das auch stark auf kalorische Produktion gesetzt hat, hin zu einem wirtschaftlich stabil aufgestellten Unternehmen, das auch die Möglichkeit hat, notwendige Investitionen in erneuerbare Energien tätigen zu können.

MARTIN GRAF: Es ist auch interessant, Parallelen zum Heute auszumachen. Das ist zum einen der Pioniergeist, dass damals gleich nach der Gründung auf ein Wasserkraftwerk als Grundlage gesetzt wurde. Auch die Innovationen, auf die man gesetzt hat und die Technologien, mit denen man sich weiterentwickelt hat, sind auffällig. Die dritte Komponente ist die sehr enge Verbindung mit der steirischen Industrie und der steirischen Wirtschaft.

Historische Aufarbeitung hilft auch bei der Einordnung von Gegenwart und Zukunft. Die Energiewirtschaft steckt in einem enormen Wandel. Stehen wir, Stichwort Energiewende, an einem historischen Punkt?
PURRER: Wenn man sich die Prognosen ansieht, in welche Richtung sich die Energiewelt verschiebt und auch was notwendig ist, um CO2 zu reduzieren, dann sind wir jetzt wirklich in einer Lawine an Änderungen, da stehen wir schon an einem historischen Punkt.

Ist man dafür gerüstet?
PURRER: Wir haben das schon früh antizipiert und in den letzten Jahren bewusst Strukturen geschaffen, um in Erneuerbare Energie zu investieren und neue Technologien wie beispielsweise Wasserstoff aufzugreifen, auch das Thema der Energieeffizienz steht schon länger sehr stark im Fokus. Aber alles, was bisher gemacht wurde, ist noch wenig im Vergleich zu dem, was noch kommen wird.

Die Zielvorgabe des Bundes lautet: Bilanziell muss Österreich bis 2030 zu 100 Prozent mit erneuerbarer Energie versorgt werden. Die Energie Steiermark will dafür bis 2025 rund 1,2 Milliarden Euro in Anlagen und Netze investieren. Geht sich das alles bis 2030 aus?
GRAF: Das ist nicht nur eine Anforderung der Politik, das fordert der Kapitalmarkt, das fordern die Menschen, wenn ich an Fridays for Future denke. Jetzt ist der Zeitpunkt, hier eine richtige Aufbruchstimmung in den Energiemarkt hineinzubekommen. Die Ziele für 2030 sehen eine Verzehnfachung der Photovoltaik-Anlagen und eine Vervielfachung von Winderzeugung vor. Daher müssen wir diese Projekte angehen, dafür braucht es auch eine breite Akzeptanz in der öffentlichen Wahrnehmung. Wir sind bereit dafür, wir haben die finanziellen Möglichkeiten dafür, wir müssen die Projekte aber auch realisieren können.

Allein die Zahl der Windräder in der Steiermark soll bis 2030 verdoppelt werden. Es gibt immer wieder Kritik und Widerstand sowie lange Verfahrensdauern. Kann sich das überhaupt ausgehen?
GRAF: Ja, es wird sich ausgehen, es muss sich ausgehen. Es gibt den Beschluss für das EAG, dieses Gesetz wird für die nächsten zehn Jahre die Grundlage für die Energiewende sein. Zehn Jahre, in denen in Österreich die Kapazität für 27 Terawattstunden Grünstrom dazu gebaut werden müssen. Dafür wird es mit dem Gesetz, das im Ministerium laut bejubelt wird, alleine nicht getan sein. Das Gesetz allein errichtet keine neuen Anlagen.

PURRER: Wir haben uns für die Umsetzung strukturell und wirtschaftlich gut aufgestellt. Was uns in der Entwicklung schon immer wieder bremst, ist die Geschwindigkeit von Genehmigungen, weil die Verfahren einfach schon ewig dauern.

Wird politisch offen genug kommuniziert, dass damit entsprechende Eingriffe in die Landschaft einhergehen?
PURRER: Es bräuchte da schon mehr von politischer Seite. Das große Ziel ist leichter zu definieren als dann die notwendige kleinteilige Umsetzung. Es gehört da schon mehr Wahrheit und Offenheit in diese politische Diskussion hinein.

Es gibt schon lange das Phänomen, Energiewende ja, aber Leitung oder Kraftwerk in der Nachbarschaft nein. Wie geht man damit um?
GRAF: Wir müssen da dann aber dringend auch die Frage nach den Alternativen stellen. Für uns in der Energie Steiermark ist die Stromerzeugung nicht nuklear, nicht fossil – es ist CO2-freie, nachhaltige und grüne Stromerzeugung. Diese Debatte muss noch viel stärker geführt werden. Nur dagegen zu sein, ist einfach. Für etwas einzutreten, viel schwieriger. Der Netzinfrastruktur, die ja parallel zu neuen Erzeugungskapazitäten entstehen muss, sollte auch viel mehr Augenmerk geschenkt werden. Wir müssen ja die Energie auch dort hinbringen, wo sie die Kunden brauchen.

Die Historie zeigt auch, dass es schon in den 1960er-Jahren bei Kraftwerksbauten Widerstände gegeben hat. Es gab und gibt immer wieder den Vorwurf des Drüberfahrens. Müssen Sie da heute noch mehr tun, stärker auf potenzielle Gegner und Naturschützer zugehen?
PURRER: Ich denke, wir haben uns da schon auch sehr positiv weiterentwickelt. Man muss viel in Kommunikationsstärke und Überzeugungskraft hineinlegen. Wir müssen aber auch darüber sprechen, was jeder Einzelne beitragen kann, Stichwort Energieeffizienz.

GRAF: Wir setzen auf einen intensiven Austausch und offene Kommunikation, wir haben bei den Projekten eigene Dialogbüros eingeführt und auch einen Nachhaltigkeitsbeirat, wo auch NGOs wie Global 2000 und der Naturschutzbund eingebunden sind.

Wo sehen Sie die künftigen Wachstumsfelder?
GRAF: Neben der Erzeugung von CO2-freier nachhaltiger Elektrizität ist das auch der ganz wichtige Ausbau der Netzinfrastruktur. Wir werden auch hohe Investitionsmittel für den Bereich des Glasfaser- und Breitbandausbau freimachen und dafür mit 1.1.2022 auch ein eigenes Unternehmen gründen.

PURRER: Unser Breitbandgeschäft ,Greenstream‘ war bisher Teil unserer Technikgesellschaft. Wir sind da flächendeckend aufgestellt, haben aber nie das Endkundenprodukt angeboten, da haben wir uns jetzt aber auch so weit entwickelt, das wir das machen können. Wir werden heute auch anders gesehen, wir waren Rohstofflieferant, heute geht’s um mehr, um ganze Lösungen, die wir als Energiedienstleister anbieten, das ist kein Schlagwort mehr. Wir setzen auf Partnerschaften, bauen beispielsweise mit großen Industrieunternehmen PV-Anlagen, Speicher – wir haben Dienstleistungsgesellschaften übernommen, etwa im Bereich Contracting und Elektromobilität. Weiterhin viel werden wir auch in die Qualifizierung der Mitarbeiter investieren.