Freitag Mitternacht rollen Sie in der britischen Botschaft in Wien die EU-Fahne ein?
LEIGH TURNER: Ja, der Austritt Großbritanniens aus der EU ist dann Faktum und wir werden die EU-Fahne, die im Garten der Botschaft hängt, einholen.

Ein Festakt zum Austritt?

Es ist ein historisches Ereignis, aber es gibt keinen Festakt. Ich bin an diesem Abend zu einem Abendessen bei Freunden eingeladen.

Was ist mit Gütertransporten auf dem Weg nach Großbritannien, wenn zur selben Stunde der Brexit geschieht?

Man wird am 31. Jänner keine Unterschiede merken und jeder Reisende, jeder Transport kann weiter von und nach Großbritannien fahren wie bisher. Wir verlassen die EU nun mit dem Deal. Damit bleiben die Rechte der Bürger beider Seiten aufrecht. Für die Zukünftigen Beziehungen wird einen neuen Vertrag bis Jahresende ausgehandelt.

Es gibt Befürchtungen für verspätete Flüge und LKW-Staus. Transporteure sind verunsichert.

Ich kann Ihnen versichern, dass es keinerlei Probleme an der Grenze geben wird. Erst ab den dem 31. Dezember 2020 wird sich die Lage ändern, wenn Großbritannien seine eigenen Handels- und Einwanderungsbestimmungen haben wird. Da wird es aber auch für Touristen und Geschäftsreisende keine Schwierigkeiten geben.

Was wird mit österreichischen Dienstleistern wie Handwerkern, IT-Experten, die in UK arbeiten?

Es wird bis Ende 2020 überhaupt keine Änderung geben. Was danach stattfindet, wird von den Verhandlungen zwischen Großbritannien und EU abhängen. Es liegt auch im Interesse Österreichs, dass diese zur einem guten Deal führen, der so breit wie möglich ist und ohne Zölle auskommt, denn die Handelsbilanz fällt zugunsten Österreichs aus.

Österreich liefert für 4,8 Milliarden Euro, damit ist Großbritannien unser neuntwichtigstes Exportland. Großbritannien liefert für 2,9 Milliarden Euro. Ändert sich heuer schon etwas bei Dokumentation und Administration im Warenhandel?

Am 31. Jänner noch nicht. Wie es nach dem 31. Dezember aussieht, wird aus den Verhandlungen klar werden. Wir gehen weiterhin von Zollfreiheit aus. Unsere Ziele wird kommende Woche Premierminister Boris Johnson bekannt geben. Er hat auch klar gesagt, dass die Übergangsfrist bis 31. Dezember nicht verlängert wird.
Es gibt Hochrechnungen für Zölle von bis zu 100 Millionen Euro im Jahr. Das wäre für die Steiermark empfindlich, die als Automobilland für eine Milliarde Euro nach UK liefert.
Die Beziehung der Steiermark mit Großbritannien, die bei den Exporten gemeinsam mit Oberösterreich führt, ist sehr bedeutend, vor allem in der Autobranche. Der E-Jaguar wird in Graz gebaut, viele Teile werden über Deutschland exportiert. Daher ist es wichtig, dass wir eine gute Vereinbarung verhandeln.

Auch unsere Importe sind beträchtlich und von Scotch Whiskey bis Tee von Harrods kann es dann teurer werden, vom Minicooper, Land Rover, Aston Martin, Bentley, Rolls Royce ganz zu schweigen.

Diese und auch Schokolade, Käse und Schottischer Lachs sind nicht die einzigen in Österreich gefragten Güter. Hinzu kommen Dienstleistungen, wo London das weltgrößte Zentrum für Fintechs ist. In der Botschaft haben wir gerade eine Mission mit einem Dutzend britischer Fintechs, die mit 18 Finanzdienstleistern aus Österreich zusammentreffen. Drittens haben wir 250 österreichische Firmen, die in Großbritannien angesiedelt sind und einen Umsatz von 22 Milliarden Euro pro Jahr machen. So viel, wie österreichische Firmen in Italien und Frankreich zusammen machen. 100 weitere Firmen sagen uns, dass sie neu oder zusätzlich in Großbritannien investieren möchten. Wir hoffen sehr, dass unsere Beziehungen weiter dicht bleiben.

Bei Agrarprodukten geht es nicht nur um Zölle, sondern auch um Standards. Österreich liefert Rindfleisch und Saatgut, Großbritannien Milch und Schaffleisch.

Einer der Vorteile der Unabhängigkeit Großbritanniens von der EU wird sein, dass wir unsere Standards noch höher treiben können, vor allem bei Agrarprodukten und Tierwohl bezüglich Tiertransporten, aber auch bei Arbeitnehmerrechten. Wir haben die geringste Zahl an Arbeitsunfällen und wir werden auch kein Billiglohnland. Die Beschäftigungsquote beträgt 76,3 Prozent, auch 72,3 Prozent aller Frauen sind in Beschäftigung.
Sogar Mitglieder des Königshauses wollen lieber arbeiten, als zu repräsentieren.

Das kommentiere ich nicht, ich achte natürlich das Königshaus.

Für Kärnten sind britische Gäste wichtig. Man sorgt sich um Reiselust nach dem Brexit.
Die Zahl von rund einer Million Reisender im Jahr aus Großbritannien nach Österreich ist ssehr stabil. Ob es Schwankungen gibt, hängt von der Wirtschaftslage ab.

Wachstumsprognosen für Großbritannien bis 2024 kommen über jährlich 1,5 Prozent nicht hinaus.

Unser Wachstum ist stabil und etwas höher als andere wichtige Länder in Europa. Die britische Wirtschaft hat sich über Jahrzehnte als stark erwiesen.

Glaubt Großbritannien mit 67 Millionen Menschen Handelsverträge mit USA, China, Japan leichter abzuschließen, als in der EU mit 500 Millionen Bürgern?

Es gibt auch Vorteile, wenn man als ein Land ein Freihandelsabkommen verhandelt, das genau für die Wirtschaft des Landes abgestimmt ist. In der EU muss man immer auch auf verschiedene Länder eingehen. Wir sind zuversichtlich, dass wir gute Abkommen verhandeln können.

Ein gegenseitiges Ausspielen von EU und USA wird gleichwohl nicht funktionieren.

Großbritannien ist ein großer Markt. Wir wollen bestmögliche Handelsbeziehungen mit unseren Partnern entwickeln.

Mit der EU wird es jedenfalls anders sein als vorher. Wo besonders?

Es ist klar, dass es nicht das Gleiche sein wird, wie als Mitglied der EU. Für beide Seiten ist es positiv, wenn wir einen möglichst breiten Handelsvertrag ausarbeiten können. Großbritannien ist ein großer Importeur von Lebensmitteln aus vielen EU-Mitgliedsstaten, besonders aus Irland und Dänemark,  und wir wollen auch weiterhin unsere Waren exportierten können. Barrieren würden auch Frustrationen schaffen und Länder wie Irland und Dänemark müssten andere Märkte suchen. Aber natürlich wird es anders sein. Großbritannien wird seine eigene Handelspolitik betreiben, sein eigenes Fischfangregime, sein eigenes Immigrationsgesetz. Aber das muss nicht  neue Barrieren bedeuten.

Kann ein Immigrationsgesetz in Großbritannien strenger sein als in Österreich, wo Sebastian Kurz Bundeskanzler ist?

Natürlich spielt die Migrationspolitik in Österreich, einem Land mitten in Europa, eine wichtige Rolle. In Großbritannien werden wir unser eigenes Immigrationssystem einführen, ähnlich dem System in Australien, bei dem Punkte vergeben werden für verschiedene Qualifikationen. Es geht darum, unabhängig mehr Kontrolle haben. Es geht nicht um neue Barrieren. Im Oktober hat Großbritannien die Aufenthaltsbedingungen für Studenten geändert.  Bis 2019 hatten Studenten von außerhalb der EU nach Abschluss ihres Studiums nicht das Recht, in Großbritannien zu bleiben. Nun können die derzeit rund 350.000 Studierenden aus aller Welt, von denen rund ein Drittel aus EU-Ländern kommen,  weiter in Großbritannien bleiben und arbeiten. Auch die Bedingungen für Wissenschaftler wurden erleichtert, damit es für diese leichter wird, nach Großbritannien zu kommen.

Großbritannien kann dann in der Energiepolitik allerdings auch unabhängig von Einsprüchen Österreichs neue Atomkraftwerke bauen.

Wir sind sehr dankbar, dass wir dieses Thema mit unseren österreichischen Partnern sehr ausführlich diskutieren konnten. Es ist eine Tatsache, dass Atomstrom in Großbritannien eine wichtige Rolle spielt und wir erwarten, dass es auch weiter eine wichtige Rolle spielt. Großbritannien will bis 2025 alle Kohlekraftwerke schließen. Deutschland will seine  erst bis 2038 schließen. Großbritannien will CO2-Emissionen so rasch wie möglich senken. Schon im Mai 2019 hatten wir eine Periode von drei Wochen, in der kein Kohlekraftwerk zur Stromerzeugung in Betrieb war.

In europäischer Gemeinschaft  der Champions League bleibt der grandiose britische Fußball. Versöhnlich für den  Brexit wäre für uns bei der Fußball-EM  ein Endspiel Österreich-England am 12. Juli im Londoner Wembley-Stadion.

Das wäre für mich perfekt. Ich freue mich schon auf das im Juni geplante Freundschaftsspiel Österreich-England  im Ernst-Happel-Stadion und werde sicher dabei sein. Österreich hat ein sehr gutes Team und viele Spieler sowie sogar einen Trainer auch in der Premiere League. Ich sah auch Liverpool gegen Red Bull Sazburg spielen, ich kann nur sagen: Go Austria! Ich wünsche den Jungs aus Österreich das Beste - allerdings außer wenn sie gegen England  oder eine andere Mannschaft aus dem Vereinigten Königreich spielen.