Arbeitgeber sollen nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) verpflichtet werden, die gesamte Arbeitszeit ihrer Beschäftigten systematisch zu erfassen. Alle EU-Staaten müssten dies durchsetzen, entschieden die obersten EU-Richter am Dienstag in Luxemburg.

Nur so lasse sich überprüfen, ob zulässige Arbeitszeiten überschritten würden. Und nur das garantiere die im EU-Recht zugesicherten Arbeitnehmerrechte.

Was alles aufgezeichnet werden muss

Das Urteil könnte große Auswirkungen auf den Arbeitsalltag haben. Denn längst nicht in allen Branchen werden Arbeitszeiten systematisch erfasst. Auch Heimarbeit oder Außendienst müsste demnach künftig registriert werden, etwa über Apps oder elektronische Erfassung am Laptop. Wird abends von zuhause noch dienstlich telefoniert oder werden E-Mails geschrieben, könnte auch dies unter die Pflicht zur Erfassung fallen.

In dem Fall vor dem EuGH hatte eine Gewerkschaft in Spanien geklagt, wo die Rechtslage ähnlich ist wie in Deutschland: Es besteht nur eine Pflicht zur Aufzeichnung der Überstunden. Die Gewerkschaft argumentierte, nur bei Erfassung aller Stunden lasse sich diese Vorgabe erfüllen. Sie wollte den dortigen Ableger der Deutschen Bank zur Einrichtung eines Registriersystems für die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter verpflichten. Die Deutsche Bank berief sich auf das spanische Recht und hielt dagegen.

Verstoß gegen Grundrechtscharta

Der EuGH entschied zugunsten der Gewerkschaft und formulierte eine Vorgabe an alle EU-Mitgliedsstaaten, Arbeitgeber zu Systemen der Arbeitszeiterfassung zu verpflichten. Andernfalls werde gegen die EU-Grundrechtecharta, die EU-Arbeitszeitrichtlinie und die EU-Richtlinie über die Sicherheit und die Gesundheit der Arbeitnehmer bei der Arbeit verstoßen. Über die Details der Umsetzung können die Staaten selbst entscheiden.

Die Richter unterstrichen die Bedeutung des Grundrechts jedes Arbeitnehmers auf Begrenzung der Höchstarbeitszeit sowie auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten. Die EU-Staaten müssten dafür sorgen, dass die Arbeitnehmer diese Rechte auch wirklich wahrnehmen könnten. Dabei sei zu berücksichtigen, dass Arbeitnehmer die schwächere Partei im Arbeitsvertrag seien.

Ohne ein System zur Messung der täglichen Arbeitszeit könnten weder die geleisteten Stunden und ihre zeitliche Verteilung noch die Zahl der Überstunden objektiv und verlässlich ermittelt werden, erklärte der Gerichtshof. Damit sei es für Arbeitnehmer äußerst schwierig oder gar praktisch unmöglich, ihre Rechte durchzusetzen.

AK sieht Verbesserungsbedarf

Von der WKÖ hieß es, die heimische Arbeitszeiterfassung entspreche den EuGH-Vorgaben. Die AK verwies darauf, dass Überstunden nicht mehr verfallen dürften.In Österreich gibt es aus Sicht der Arbeiterkammer (AK) aber noch massiven Verbesserungsbedarf. In vielen Arbeitsverträgen gebe es für alle Ansprüche eine Verfallsfrist von nur drei Monaten. Das kritisieren die Arbeitnehmervertreter schon lange und bekräftigen nun ihre Forderung dahingehend: "Mehr- und Überstunden dürfen nicht verfallen! Wer Überstunden mutwillig vorenthält, soll das Doppelte zahlen müssen", so AK-Präsidentin Renate Anderl am Dienstag in einer Aussendung.

Ganz anders der Experte von der Wirtschaftskammer (WKÖ), Rolf Gleißner: "Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), nach dem Arbeitgeber zur Arbeitszeiterfassung verpflichtet sind, bezieht sich auf einen Anlassfall in Spanien und hat keinerlei Auswirkungen auf Österreich. Nach der österreichischen Gesetzeslage werden Beginn und Ende der Arbeitszeit ohnehin lückenlos aufgezeichnet, dasselbe gilt für Pausen."

Der deutsche Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat eine Gesetzesänderung in seinem Land nicht ausgeschlossen. Der Sozialdemokrat Heil verwies auf einige geplante Maßnahmen in Deutschland. So solle der Kampf gegen Schwarzarbeit durch mehr Kontrollen und einen personell aufgestockten Zoll verstärkt werden. Zudem verwies Heil auf sein Vorhaben, Missstände in der Paketbranche anzugehen und die Nachunternehmerhaftung auf diese Branche auszuweiten. Hier würden oft Löhne gedrückt und Arbeitnehmerrechte missachtet. Sichtbar geworden seien Fälle von Missachtung von Dokumentationspflichten im Übrigen durch die Einführung des Mindestlohns in Deutschland 2015.