Der Wiener Aktienmarkt hat ein sehr erfolgreiches Jahr hinter sich. Erstmals seit 2007 durchbrach der Leitindex ATX die Rekordmarke von 5.000 Punkten. Zu verdanken war das vor allem dem internationalen Umfeld, weltweit geht es mit der Konjunktur wieder bergauf. Keine Hilfe war dagegen die heimische Politik, die die Kapitalmarktentwicklung nach Meinung des Wiener-Börse-Chefs Christoph Boschan zu wenig unterstützt. Der Produktionsfaktor Kapital werde stark unterschätzt.
Auf politischer Seite sei „nichts vorangegangen“, sagte Boschan im Gespräch mit der APA. „Es ist wirklich schauerlich, wie der Produktionsfaktor Kapital unterschätzt wird.“ Österreich habe weiterhin ein „ungelöstes Pensionsproblem“ und sei „Spitzenreiter in der Kapitalertragsbesteuerung“. Zwar steige die Aktionärszahl in Österreich an, die Investitionsvolumina seien aber nicht sehr groß. Privates Kapital werde viel zu wenig aktiviert, Unternehmer und Start-Ups würden ihre Mittel lieber im Ausland suchen. „Ist auch okay, aber dann geht der Gewinn eben auch dahin.“ Damit fließe auch Wohlstand aus dem Land ab.
Schweden und Niederlande als Vorbilder
Zudem mangle es an großen Kapitalsammelstellen wie staatlichen Pensionsfonds nach dem Vorbild Schwedens oder der Niederlande. Dabei könnte es Kosten sparen, Teile des staatlichen Pensionssystems an den Kapitalmarkt zu bringen. „Die Aufwendung gemessen am Nationalprodukt für die Pensionssysteme ist dort wesentlich geringer als bei uns.“ Auch die stärkere Verbreitung der betrieblichen Altersvorsorge und die Förderung der privaten Pensionsvorsorge - über Pensionskonten und Steuerbefreiungen - würde helfen, die Kosten für Pensionen einzudämmen.
Generell vermisst Boschan Initiativen und Ideen seitens der Politik, um den heimischen Kapitalmarkt zu entwickeln. „Alle Welt ergötzt sich an eskalierenden staatlichen Förderungen und Investitionsprogrammen“, dabei sei das „alles homöopathisch gegenüber privatem Investment“, das viel stärker mobilisiert werden müsse. „Es ist wirklich erstaunlich, dass eine der größten Wachstumsreserven nicht aktiviert wird und das private Kapital so negiert wird.“ Länder mit entwickelten Kapitalmärkten würden „viel schneller und viel nachhaltiger“ wachsen, sich schneller von Krisen erholen und hätten mehr Kapazitäten für mögliche Transformationsideen.
Über die starken Kursgewinne des heurigen Jahres am Wiener Markt freut sich der Börsechef natürlich. „Wer soll sich darüber beklagen?“, sagte Boschan. Zu stark betonen will er sie aber nicht. Denn es sei auch „Teil des Problems der öffentlichen Wahrnehmung der Märkte, dass sie zu kurzfristig und eben nur in diesen Extremen immer wahrgenommen wird. Entweder Boom oder Bust. Aber das ist nicht die Realität.“ Viel wichtiger sei die langfristige Sicht auf den Aktienmarkt als Anlageform. Wer langfristig und breit gestreut - beispielsweise in weltweite Fonds - am Aktienmarkt investiere, sei auch gegen kurz- und mittelfristige Entwicklungen - beispielsweise gegen Blasenbildungen wie sie aktuell im US-Technologie- und KI-Bereich oft heraufbeschworen werden - unempfindlich. „Ich sage, langfristig ist die Aktie die sicherste und renditeträchtigste Anlage“, so Boschan.
Unterstützung erhalte der Wiener Aktienmarkt vom internationalen Umfeld. Als exportorientierte Wirtschaft seien viele an der Börse notierte Unternehmen stärker an die europäische und weltweite Konjunktur gekoppelt als an die heimische. Hinzu komme der starke Fokus auf Osteuropa, wo das Wachstum nach wie vor stärker sei als im Westen Europas. Auch Sonderfaktoren wie die Dominanz des Finanzdienstleistungssektors an der Wiener Börse oder der Einfluss des deutschen Konjunkturpakets seien zu berücksichtigen.
Starkes Anleihengeschäft
Auch der Wiener Börse als Unternehmen gehe es sehr gut, sagte der Börsenchef. Die Aktienumsätze beliefen sich laut Aussendung der Börse vom Dienstag auf rund 71 Mrd. Euro, damit schreibt die Börse das drittstärkste Handelsjahr seit 2012. Vor allem im Anleihen-Bereich läuft das Geschäft gut, mit rund 31.500 neuen Listings wurden 2025 rund doppelt so viele Anleihen emittiert wie im Vorjahr. Der Wiener Leitindex ATX durchbrach heuer erstmals seit 2007 wieder die Marke von 5.000 Punkten, aktuell beläuft sich das Jahresplus auf rund 43 Prozent. Der ATX Total Return, bei dem wie beim deutschen DAX die Dividendenausschüttungen miteinbezogen werden, zog sogar um knapp 50 Prozent nach oben.
Zur Wiener Börse gehört auch die Börse Prag. Zudem ist sie IT-Dienstleister für die Börsen in Budapest, Laibach und Zagreb und ist an Energiebörsen und Clearingstellen in der Region beteiligt.