Es waren neun Schüsse, die am 29. Oktober 2017 in Stiwoll fielen, zwei Menschenleben auslöschten, eine Frau schwer verletzten – und das Leben für alle anderen mit einem Schlag veränderten. Seit einem Jahr ist in der idyllischen Landgemeinde am westlichsten Rand des Bezirkes Graz-Umgebung nichts mehr so wie früher. Der Fall Friedrich Felzmann liegt wie ein Schatten über dem kleinen Ort.

Bürgermeister Alfred Brettenthaler, der zwar bemüht ist, bei jeder Gelegenheit zu betonen, dass sich das Leben in Stiwoll wieder „vollkommen normalisiert“ habe, ist diesmal für ein Interview nicht erreichbar. Überhaupt: Den Medien bleiben die Türen ein Jahr nach der blutigen Tragödie verschlossen. Im Ort findet sich kaum jemand für ein Gespräch. Und wenn, dann ohne Namensnennung. „Man weiß nie, vielleicht taucht der Fritz wieder auf ...“

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Spürbare Angst

Die Angst ist noch immer spürbar. Altbürgermeister Josef Brettenthaler bringt es auf den Punkt: „Nichts ist wie früher. So lange wir nicht wissen, wo Felzmann geblieben ist, wird sich daran nichts ändern.“

Der Bruder des mutmaßlichen Doppelmörders und seine Frau, die einige Tage nach der Tat, der Kleinen Zeitung noch ein Interview gaben, schweigen jetzt. „Wir wollen dazu nichts mehr sagen.“ Nur auf die Frage, ob sie noch immer Angst haben, schießt es der Frau aus dem Mund: „Und wie.“ Der Bruder und die Schwägerin zählen zu jenen Personen, mit denen Felzmann in Feindschaft lebte.


Auch die Frau des Gesuchten will sich nicht äußern. Man habe es schon schwer genug. Von Ausgrenzung ist die Rede. Tatsächlich wollten die Töchter des Todesschützen schon vor Monaten bei Vereinsveranstaltungen reden, ihre Sicht der Dinge darstellen. Bürgermeister Alfred Brettenthaler baten sie um Unterstützung. Doch die blieb ihnen verwehrt.

Blicken wir zurück, auf den Tag der Ereignisse. Es ist Sonntagfrüh, der 29. Oktober. Seit zwei Stunden schon liegt Friedrich Felzmann (66) im Obergeschoß seines Wirtschaftsgebäudes auf der Lauer, mit einem – vermutlich halb automatischen – Jagdgewehr mit Zielfernrohr, aufgelegt auf einer zusammengerollten Decke. Er starrt durch die Luke, beobachtet die Grundstücksgrenze. Dort, etwa 30 Meter entfernt, treffen sich seine beiden jüngeren Töchter mit seinen verhassten Nachbarn: Adelheid H. (55), Martina Z. (68) und Gerhard E. (64).

Video vom Polizei-Einsatz in Stübing

Es geht um das Durchfahrtsrecht. Alle drei besitzen ein Servitut. Felzmann aber hat die Straße abgesperrt, weil sie niemand wirklich benötigt. Alle Nachbarn haben inzwischen eigene Zufahrten. Doch die drei Anrainer beharren auf ihrem Recht. Mehrere Prozesse hat Friedrich Felzmann schon verloren. Deshalb führt er auch „Krieg“ gegen die Justiz, unter anderem im Internet.

Doch jetzt sind die Töchter Besitzer der Liegenschaft und wollen mit den Nachbarn reden, an Ort und Stelle.

Es ist kurz nach neun Uhr, als man sich an der Grundgrenze trifft. Im nächsten Moment fallen Schüsse. Tödlich getroffen brechen Adelheid H. und Gerhard E. zusammen. Martina Z. wird schwer verletzt, kann aber flüchten. Die beiden Töchter sehen gerade noch, wie ihr Vater in seinen VW Caddy steigt und davonfährt.


Als das Polizei-Großaufgebot mit Spezialkräften eintrifft, ist er längst „über alle Berge“. Erst 24 Stunden später wird das Fluchtfahrzeug gefunden, etwa neun Kilometer vom Tatort entfernt. Wochenlang befindet sich Stiwoll im Ausnahmezustand. Bis zu 400 Einsatzkräfte suchen täglich nach Friedrich Felzmann, der seither auf Europas „Most Wanted“-Liste gesuchter Verbrecher aufscheint.

Und die Fahndung ist noch nicht zu Ende. Erst kürzlich wieder sei der Polizeihubschrauber über St. Pankrazen gekreist. Auch die Cobra sei im Einsatz gewesen, erzählt ein Ortsbewohner. „Die haben wieder nach ihm gesucht.“
3,5 Millionen Euro hat die Suche nach Friedrich Felzmann bisher gekostet. Das bestätigt Oberst Joachim Huber von der Landespolizeidirektion. 85.600 Stunden (Überstunden inklusive) waren die Einsatzkräfte in und um Stiwoll im Einsatz. 440 Hinweisen ist die Sonderkommission nachgegangen. Doch die Spur des mutmaßlichen Doppelmörders endet in jener entlegenen Gegend, neun Kilometer vom Tatort entfernt, wo Felzmann das Fluchtauto abgestellt hat.

Über den Verbleib des mutmaßlichen Doppelmörders gehen die Meinungen auseinander, auch in Stiwoll. „Der Fritz hatte einen Fluchthelfer und lebt jetzt irgendwo im Ausland“, glauben die einen. „Er hat sich in irgendeine Höhle verkrochen und sich umgebracht“, sind andere wiederum überzeugt. „Er will nicht gefunden werden, seine Feinde sollen in Angst leben.“ Weder für die eine noch für die andere These gebe es Beweise, so die LKA-Mordermittler.