Im Grazer Veranstaltungssaal "The Lux" denkt momentan niemand ans Feiern. Zu groß sind die Sorgen und die Ängste, die die Menschen hier gerade plagen. Seit gestern türmen sich im Saal Kartons und Säcke mit Spenden für die Erdbebenopfer in der Türkei. Viele, die hierhergekommen sind, wissen nicht, wie es ihren Familien in der Heimat geht, ob sie in Sicherheit sind, ob sie überlebt haben.

Ein Erdbeben der Stärke 7,9 hat Montagnacht die türkisch-syrische Grenzregion erschüttert. Am Nachmittag folgte ein Nachbeben mit einer Stärke von 7,7. Dienstagfrüh erschütterte ein weiteres Beben der Stärke 5,6 die Zentraltürkei. Die Zahl der Toten liegt aktuell bei über 5000. Unter den Trümmern der eingestürzten Häuser werden noch viele Menschen vermutet.

Sorge um Familie ist groß

"Es ist eine Katastrophe. Mein Bruder, meine Schwester – alle sind dort", sagt Bekir Culban aus Feldbach. Seine Familie lebt in Sanliufura, im Südosten der Türkei. Wegen des Erdbebens mussten sie aus ihren Wohnungen flüchten. "Ich habe große Angst, dass ihnen etwas passiert."
Beunruhigt ist auch Sevda Tuncer. Bis auf einen Anruf von ihrer Tante hat sie nichts mehr von ihrer Familie gehört. "Sie konnten sich in Sicherheit bringen, aber ihr Haus wurde stark beschädigt. Ihre Nachbarn haben nicht überlebt", erzählt die 30-jährige Grazerin. Immer wieder bricht das Netz ab, in der gesamten Region von Hatay bis nach Adiyaman gibt es Stromausfälle. Viele Menschen müssen im Freien ausharren. In Hatay werden vor der Universität Zelte aufgebaut. "Es sind so viele Gebiete betroffen. Das Problem ist, alle brauchen gleichzeitig Hilfe." Tuncer zeigt Videos auf ihrem Handy. Bei Adiyaman sind Straßen aufgebrochen, eingestürzt ist auch ein Tunnel, der die Zufahrt zu den betroffenen Gebieten erschwert: "Nicht einmal wer helfen will, kommt hin."

Die 30-Jährige will etwas tun. Gemeinsam mit anderen Angehörigen der Bebenopfer haben sie den Veranstaltungssaal The Lux (Puchstraße 47) in eine Lagerhalle umgewandelt. Jeder, der will, kann dort Spenden vorbeibringen. Im Minutentakt fahren Autos vor, die Aktion scheint sich auf Facebook herumgesprochen zu haben. Kleidung für Kinder,  Babynahrung und Hygieneartikel, Windeln und haltbare Lebensmittel seien momentan das Wichtigste, zählt Tuncer auf. Weniger erfolgreich ist sie bei ihrer Suche nach einem Lkw, der die Spenden in die betroffenen Gebiete bringt – oder zumindest so nah wie möglich. "Wenn ich könnte, würde ich selbst einen Lastwagen mieten, aber dafür fehlen mir die finanziellen Mittel."
Auch Duran Karabulut will mit seinen Spenden den Betroffenen helfen: "Mein Schwager ist gerade in Hatay. Die Bilder im Fernsehen zeigen nur einen kleinen Teil davon, wie schlimm die Lage in Wirklichkeit ist." Dasselbe berichtet Yasin Akboga. Er ist Unternehmer in Graz, gestern erfuhr er, dass sein Geschäftspartner in der Türkei das Erdbeben nicht überlebt hat.

Weil sie ihre Familien nicht erreichen können, versuchen jetzt viele Angehörige in die Türkei zu reisen. Diyar Demirbar ist Reisebürobetreiber in Graz: "Den ganzen Tag über läutet mein Telefon. Menschen weinen, erzählen mir, dass ihre Eltern gestorben sind, dass ihre Geschwister vermisst werden. Aber ich kann nicht helfen."

Flughäfen für zivile Flüge gesperrt

Aufgrund des Erdbebens sind Flughäfen in den betroffenen Gebieten vorerst für zivile Flüge geschlossen. Das bestätigt auch Marcus Bachmann, Beauftragter für humanitäre Angelegenheiten bei "Ärzte ohne Grenzen" (MSF) Österreich, die Verkehrsinfrastruktur sei somit der "Flaschenhals" für Hilfslieferungen, sagt der Experte am Dienstag in einem Gespräch mit der APA. Vertreter von MSF und anderen Hilfsorganisationen stehen derzeit in Kontakt mit den Behörden auf beiden Seiten der Grenze, um einen Plan zu entwickeln, wie Hilfslieferungen möglichst schnell und sicher in die Katastrophengebiete gebracht werden können.

Ein drohender Schneesturm verschärft die Situation. "Die Hilfsorganisationen haben Probleme, Straßen zu passieren und Lagerhäuser und Vorräte zu erreichen", heißt es von der Hilfsorganisation Care. Das berichten auch Caritas und die Katastrophenhilfe Diakonie: "Unsere Partner vor Ort sind schon aktiv. Mit vereinten Kräften wird alles Menschenmögliche getan, aber die Lage bleibt dramatisch."