Arina ringt um Worte. Aber nicht lange. Ihre Sitznachbarin Valerie hilft ihr, zückt ihr Handy, öffnet den Übersetzer. Arina spricht hinein, in ihrer Muttersprache, Ukrainisch. Im Klassenzimmer ist sie umgeben von Gleichaltrigen, die sie eigentlich nicht verstehen – und sie tun es dennoch, wenn auch nicht immer mit Worten.

Arina ist elf Jahre alt. Seit drei Tagen ist sie Schülerin der 1b im Grazer Ursulinen-Gymnasium. Mit ihr drücken 658 Kinder und Jugendliche nicht mehr in der Ukraine, sondern in der Steiermark die Schulbank.

"Ich habe mich in der Ukraine nicht sicher gefühlt", sagt Arina auf Englisch. "Hier fühle ich mich gut, ich liebe meine Klassenkameraden." In Arinas Heimat tobt der Krieg. Mit ihrer Mutter und ihrem Hund ist die Elfjährige geflüchtet. Ihr Papa ist in Kiew geblieben, er kämpft gegen die russische Armee. "Ich vermisse ihn so sehr", sagt Arina. Sie spricht in Valeries Handy. Auf dem Bildschirm erscheint der übersetzte Satz: "Er durfte die Ukraine nicht verlassen."

"Für Deutschförderklassen fehlt Budget"

Mit Englischkenntnissen, dem Handy, Gestik und Mimik unterhält sich Arina mit ihren Mitschülern. Lieder auf Deutsch kann sie schon mitsingen. Mathematik geht auch. Dem restlichen Unterricht folgt sie, so gut es geht.

"Für eigene Deutschförderklassen fehlt das Budget", sagt Schwester Anna Kurz, die Direktorin der Ursulinen. Deswegen sitzen die 18 ukrainischen Schülerinnen und Schüler je nach ihrem Alter in den bestehenden Klassen. Deutschstunden gibt eine Ukrainerin ehrenamtlich, erzählt die Direktorin. Bald sollen regelmäßige Kurse kommen.

"Es ist ein Zusammengreifen", betont Kurz. Auf ihre Schüler und Lehrer ist sie stolz: "Sie sind irrsinnig offen und tun alles, damit sich die ukrainischen Kinder hier willkommen fühlen." Psychologische Betreuung habe es bisher kaum gebraucht. "Ich habe das Gefühl, die ukrainischen Kinder schieben das Thema Krieg noch auf die Seite." Es sei wichtig, "einerseits Betroffenheit zu zeigen und gleichzeitig zu versuchen, ihnen ein möglichst normales Schulleben zu bieten". Im Vordergrund steht, dass die Kinder und Jugendlichen Deutsch lernen. "Alles andere ist illusorisch", sagt Kurz.

Direktorin Schwester Anna Kurz
Direktorin Schwester Anna Kurz © Jürgen Fuchs

Meiste Kinder sitzen in bestehenden Klassen

Ein paar Türen weiter sitzen Anna (13) und Emilia (14) – kurz Emmi – nebeneinander. Lange kennen sie sich noch nicht. Verstanden haben sich die beiden sofort. "Wir teilen dieselben Interessen", sagt Emmi. Musik und Kunst finden die Mädchen gut. "Und wir empfehlen uns gegenseitig Serien, wir stehen auf Thriller", erzählt Emmi und schaut zu Anna. Die lächelt und nickt. Kurz bevor der Krieg ausgebrochen ist, ist sie zu ihrer großen Schwester geflohen, die studiert in Graz. Die Eltern der Geschwister sind noch in der Ukraine. "Meine Mama möchte Papa nicht allein lassen", erklärt Anna.

Anna und Emmi teilen ihre Leidenschaft für Serien miteinander, Mathematiklehrerin Julia Schönhart versucht, zu unterstützen, wo es geht
Anna und Emmi teilen ihre Leidenschaft für Serien miteinander, Mathematiklehrerin Julia Schönhart versucht, zu unterstützen, wo es geht © Jürgen Fuchs

Der Großteil der ukrainischen Kinder wird in der Steiermark integrativ in den Klassen unterrichtet – wie in den Ursulinen. Zusätzlich sollen Deutschkurse stattfinden. Eigene Deutschförderklassen gibt es erst sieben. "Es sind aber weitere in Planung", heißt es dazu aus der Bildungsdirektion.

Ein Ukrainer, der einspringt

In einem Klassenzimmer am anderen Ufer der Mur fliegt ein kleiner, roter Ball durch die Luft. Eine Schülerin fängt ihn. Oleh Hlazkov, der den Ball geworfen hat, fragt: "Was magst du?" Die Schülerin antwortet: "Ich mag spielen." Und wirft den Ball zurück. Hlazkov wirft den Ball zum nächsten Schüler.

Spielerisch bringt Oleh Hlazkov den geflüchteten Kindern Deutsch bei
Spielerisch bringt Oleh Hlazkov den geflüchteten Kindern Deutsch bei © Jürgen Fuchs

Er unterrichtet 18 ukrainische Schüler im Alter von elf bis 15 Jahren – gemeinsam in einer Klasse der Mittelschule Albert Schweitzer. Der Anteil der Schüler mit Migrationshintergrund ist an der Schule hoch, die Deutschförderklassen sind "zum Bersten voll", also hat man eine neue Klasse geschaffen, erklärt Schuldirektor Thomas Papst. "Oleh ist unser Jackpot", sagt er. Der gebürtige Ukrainer lebt seit 14 Jahren in Österreich, seit drei Wochen ist er an der Schule. Er studiert Germanistik, seine Masterarbeit ist jetzt auf "Stand-by".

Nach ukrainischen Lehrkräften mit Deutschkenntnissen sucht man derzeit überall händeringend, bestätigt die Bildungsdirektion. Es wäre "hilfreich", wenn ukrainische Lehrkräfte ohne Deutschkenntnisse bald auch angestellt werden können, so, wie der Bildungsminister Martin Polaschek in Aussicht gestellt hat.

Oleh Hlazkov ist seit Kurzem Lehrer
Oleh Hlazkov ist seit Kurzem Lehrer © Jürgen Fuchs

Viele offene Fragen

Hlazkov, dessen Familie auch geflüchtet ist, kümmert sich liebevoll um "seine" Kinder. Er bringt ihnen die fremde Sprache bei, kocht und tanzt mit ihnen. "Ukrainische Kinder sind sehr schlau", sagt er stolz. Glaubt man ihm sofort: Die ersten Sätze sitzen.

Für die Schüler und Lehrer ist die Situation herausfordernd. "Wir haben viele Kinder mit Kriegs- und Fluchterfahrung. Die Bilder aus der Ukraine reißen Wunden auf", sagt Direktor Papst. Doch das Verständnis gegenüber den neuen Mitschülern ist groß, und die Lehrer sind den Umgang mit Kindern aus Kriegsgebieten gewohnt.

Thomas Papst ist Direktor der Mittelschule
Thomas Papst ist Direktor der Mittelschule © Jürgen Fuchs

Wie auch in den Ursulinen sind an der Mittelschule alle bemüht, vieles läuft noch provisorisch. Es ist "Learning by Doing", sagt Papst. Dauerlösung sei die Ukraine-Klasse keine, die Schüler sollen integriert werden. "Viele Fragen sind aber ungeklärt. Wir wissen nicht, wie es nächstes Jahr weitergehen wird."

Hlazkov druckt eigene Übungszettel aus Schulbüchern für die Kinder aus
Hlazkov druckt eigene Übungszettel aus Schulbüchern für die Kinder aus © Jürgen Fuchs

Politik gefordert

Laut Bildungsdirektion braucht es an den Schulen zusätzliche Sprachassistenzen, außerdem psychosoziale Unterstützung, die Lehrer sollen administrativ entlastet werden. Die Politik sei gefordert. Zumal auch nicht gewiss ist, wie viele Kinder noch kommen werden. Die Bildungsdirektion tausche sich "eng" mit dem Land Steiermark, der Stadt Graz und allen Verantwortlichen aus, "um flexibel reagieren zu können".

Auch wenn die ukrainischen Schüler so wirken, als wären sie angekommen, wenn man sie fragt, wollen sie vor allem eines: zurück nach Hause.