Es sind diese Momente im Skisport, die besonders in Erinnerung bleiben, vor allem in einem Stadion, in dem es aufgrund fehlender Zuschauer ohnehin nicht allzu laut ist: Man hört die Skikanten, den Aufprall ins Netz  - und dann nichts mehr. Schockstarre, im wahrsten Sinne des Wortes. So war es in Val d'Isère auch diesmal, in der ersten Abfahrt des Jahres. Diesmal erwischte es Nicole Schmidhofer, an einem Hochgeschwindigkeits-Steilstück, als sie verschnitt und falsch abbog. Ins Hochsicherheitsnetz, mit rund 115 km/h, nahezu ungebremst.

Die Folgen sind jetzt bekannt und sie sind schlimm genug: Nicole Schmidhofer, vor zwei Jahren noch Weltcupsiegerin in der Abfahrt, erlitt wohl einen Kreuz- und Seitenbandriss im linken Knie. Aber viel wichtiger: Sie erlitt keine inneren Verletzungen, keine Kopfverletzungen und auch die Wirbelsäule ist unverletzt. Und das ist speziell an dieser Stelle ein Glücksfall. Dort, wo 2001 Silvano Betrametti ins selbe Netz stürzte, dieses ebenfalls durchschlug und gegen die Bäume dahinter prallte. Der Schweizer erlitt dabei eine Querschnittlähmung.

Diese Sorge bestand zunächst auch bei den Trainern, etwa beim Damen-Cheftrainer Christian Mitter. Der ist just an dieser Stelle stationiert - oder besser: knapp davor. "Ich sitze auf einem Baum und filme die Läuferinnen, die dann ums Eck fahren. Da fährt man mit der Kamera mit, bis sie hinter Bäumen verschwinden und wieder auftauchen. Nur tauchte Nici nicht mehr auf", erzählte er. Schnell war ihm klar, was passiert sein musste - und schnell war ihm klar: Wenn auch er Schmidhofer nicht sehen kann, dann droht das Schlimmste.

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Ein anderer Trainer eilte zur Unfallstelle, funkte zunächst ebenso: "Ich komm nicht zu ihr hin." Und die Sorgen wurden größer. Bis dann klar war: Nach dem schweren Unfall Beltramettis wurde hinter dem ersten, sogenannten A-Netz ein zweites installiert. "Nici hat beim Aufprall das erste Netz durchstoßen, die Skikanten haben es wohl aufgeschlitzt. Das war aufgrund der Wucht des Aufpralls vielleicht auch ganz gut", erzählt Mitter. Und weiter: "Dann kam der Funkspruch, dass sie über Knieschmerzen klagt. Das war, so ehrlich muss ich sein, eine Riesenerleichterung."

Christian Mitter
Christian Mitter © GEPA pictures

Schmidhofer funkte an Teamkolleginnen

Und dann bestand Schmidhofer auch noch darauf, selbst einen Funkspruch an die Teamkolleginnen loszulassen, an die nach ihr kommende Nina Ortlieb. "Sie hat mir gesagt, dass die Piste super ist, ich attackieren kann", erzählte die Vorarlbergerin. Und Mitter: "Nina ist das dann relativ trocken gefahren, nach ihrer Verletzung, Corona - und der langen Pause am Start nach dem Sturz einer Teamkollegin." Mit dem Sieg  - der ging an Corinne Suter - hatte Ortlieb zwar nichts zu tun, aber Rang fünf ist durchaus ein Erfolg. Nur Schmidhofer hätte das Potenzial gehabt, noch schneller zu sein, seufzt Mitter.

Und doch: Trotz des Schocks samt drohendem Ausfall der Nummer eins für die ganze Saison: Schon am Samstag geht es weiter. Wie Mitter die Sitzung anlegen wird: "Wir werden den Damen trocken alle Fakten präsentieren. Was passiert ist, warum es passiert ist. Und wie man diese Stelle fahren muss. Skifahren ist ein Hochgeschwindigkeitssport, man versucht alles, um es sicher zu machen. Aber irgendwann geht nach Fehlern der Platz aus . . ."