Am Ende der abgelaufenen Saison sagten Sie, dass man die Spieler körperlich noch ein Stück besser machen will. Inwiefern ist dies in den bisherigen vier Wochen der Vorbereitung gelungen?
Heiko Vogel: Zuerst muss ich festhalten, dass wir eine außergewöhnlich gute Saison hatten. Wir waren also fit. Ich machte mir Gedanken, wo gibt es Stellschrauben, mit denen man den Level der Spieler noch verbessern kann. Wenn wir unsere hohe Intensität länger halten können, ist das schon eine Verbesserung. Aber das ist ein Prozess, der länger dauert. Wir sind auf einem guten Weg.

Wie kann man diesen Fortschritt messen?
Vogel: Wir haben mit der FH Joanneum eine Kooperation gehabt. Mittels Catapult-System haben wir jedes physische Detail in jeder Einheit erfassen können. Ein Mitarbeiter war abgestellt und hat unsere Spieler physisch gläsern gemacht.

Also absolute Kontrolle?
Vogel: Das möchte man meinen. Aber in erster Linie will ich mich selbst bzw. meine Arbeit kontrollieren. Ich dachte, dass ein Freundschaftsspiel gegen einen unterklassigen Gegner eine regenerative Einheit ist. Aber nein, die Intensität war höher als in unserem schärfsten Training. Das hätte ich nie geglaubt. Am meisten habe ich in der Vorbereitung gelernt. Trotz der Erfahrung und allen Dingen, die man schon ge- und vermessen hat, gab es neue interessante Dinge. Kurzum, ich denke schon, dass wir physisch ein Stück weiter sind.

Zeigt man damit dem Spieler seine Belastungsgrenze?
Vogel: Absolut. Die Belastungsgrenze ausloten, ohne eine Verletzung zu riskieren. Darum geht es.

Inwieweit sind Sie zum jetzigen Zeitpunkt mit der Vorbereitung zufrieden?
Vogel: Ich kann jetzt alle Floskeln raushauen, wie zufrieden ich bin. Aber die ersten Bewerbspiele werden die Antwort geben. Schlussendlich ist die Vorbereitung aber die Vorbereitung auf das erste Bewerbsspiel und nicht auf die ganze Saison.

Welche neuen Erkenntnisse hat die WM gebracht?
Vogel: Neues gab es nicht wirklich. Physisch begegnet man sich auf Augenhöhe und was die Defensive angeht, ist dies auch der Fall. Standardsituationen waren oft die Dosenöffner, zuerst hat man sich oft stark neutralisiert. Manche sagen, der Ballbesitzfußball hat sich verabschiedet. Ich glaub aber trotzdem daran – wenn man die Champions League hernimmt –, dass eine Mannschaft gewinnt, die Ballbesitzfußball beherrscht. Didier Deschamps hat gesagt: Der Schnelle frisst den Langsamen auf. Geschwindigkeit wird immer mehr ein Trumpf werden.

Achtete Sturm in dieser Transferperiode auf den Punkt Geschwindigkeit?
Vogel: Wir haben darauf Wert gelegt, dass wir eine Flexibilität bezüglich der Einsetzbarkeit und der Flexibilität einer Position haben. Die Spieler sollen sich ergänzen.

Sind Sie mit dem aktuellen Kader zufrieden?
Vogel: Ich bin sehr zufrieden. Es gibt im Fußball keine Garantie und es gab einige überraschende Wendungen dabei. Wir haben uns von niemandem irgendeinen Zeitdruck auferlegen lassen und stets kühlen Kopf bewahrt, um bestmögliche Lösungen zu finden. Erste Prämisse ist, dass man die Qualität halten will. Und die Qualität will man durch Kontinuität halten. Aber das war aufgrund unserer Erfolge schwierig. Spieler haben sich ins Rampenlicht gespielt.

Haben Spieler bei Ihnen um Rat gefragt?
Vogel: Man spricht natürlich mit den Spielern. Aber ich bin Egoist für mich selbst und Egoist für den Verein und wollte, dass alle Spieler bleiben. Aber man muss auch immer den Menschen sehen, nicht nur den Spieler. Man soll sich selbst aber immer treu bleiben. Ich persönlich sehe es so, dass frisches Blut immer guttut. Jetzt haben wir einen Umbruch und ich bin gefordert, meine Philosophie wieder allen einzuimpfen.

Aber nicht alle waren in der jüngeren Vergangenheit so gelassen wie Sie jetzt.
Vogel: Ich habe in den letzten paar Wochen auch große Probleme gehabt mit dem Negativismus, was unseren Kaderumbruch angeht. Diese Schwarzmalerei war ja Wahnsinn. Ich war kurz davor zu sagen: Wisst ihr was, ich bleibe in Deutschland, das hat eh alles keinen Sinn mehr. Der Klub ist tot. Im Ernst: Ich habe mit dem Kader, den ich jetzt habe, genau so viel Fantasie, wie ich mit dem Kader in der vorigen Saison hatte.

Hegen Sie Groll gegen den einen oder anderen Spieler?
Vogel: Was bringt mir Groll? Wenn ich im Groll lebe, ist das immer rückwärtsgerichtet. Das muss jeder für sich selbst wissen. Alle Spieler haben ihre Gründe, der eine kann es besser begründen, der andere nicht so gut. Aber ich bin keinem böse. Ich finde die Fans hier sensationell, sie sind außergewöhnlich, einige sind sehr reflektiert. Ich glaube, dass man gut daran tut, alle Wechsel etwas distanzierter zu sehen. Ganz ehrlich: Ich habe keine Lust, wenn wir nach Wien kommen oder die Wiener zu uns, dass ich so eine Hassstimmung spüre. Das ist wirklich fehl am Platz, es ist Sport.

Wie soll und kann es ruhig ablaufen?
Vogel: Wir versuchen, den Fans tollen Fußball zu bieten, und genießen den maximalen Support. Wir tun aber alle gut daran, wenn wir das Ganze nicht in Hass umschweifen lassen. Das Leben geht weiter, wir haben tolle Spieler dazubekommen. Den Fans kann ich nur mitgeben: Vergeudet die Energie nicht gegen Spieler, sondern gebt genau diese Energie unserer neuen Mannschaft. Das hilft uns mehr.

Wie geht man mit der Erwartungshaltung um?
Vogel: Triple (lacht). Ambitionierte Erwartungen finde ich immer attraktiver als Gleichgültigkeit. Die Basis jeglicher Erwartungshaltung sollte Demut sein. Wir haben das sehr, sehr gut gemacht letzte Saison mit einem Titel, aber das ist keine Selbstverständlichkeit. Und wenn man sieht, was die Wiener Vereine in der Transferperiode gemacht haben, dann wird es mit Sicherheit nicht leichter, sondern erheblich schwerer. Natürlich kann man einen Champions-League-Traum von der Gruppenphase leben. Und sollte es „nur“ die Gruppenphase der Europa League werden, dann ist das herausragend für einen Verein wie Sturm Graz. Wir sind in einer Umbruchsituation. Wir gehören zu den großen vier, aber da sind wir ganz klar an der vierten Stelle. Und alles, was darüber hinausgeht, ist ein Erfolg. Ich denke, das ist eine realistische Einschätzung. Lasst und demütig sein. Lasst uns mehr träumen und weniger erwarten.

Wird Sturm, wie häufig in den Testspielen gesehen, künftig mit einer Dreierkette spielen?
Vogel: Ganz klar: Ja. Wenn wir den Bogen zur WM spannen. Es ist ersichtlich, dass Mannschaften, die eine Dreier- respektive Fünferkette spielen, eine defensive Stabilität garantiert bekommen. Und wenn du so tolle Innenverteidiger hast, wäre ich schlecht beraten, es nicht zu spielen.

Wann verlängert Heiko Vogel seinen Vertrag bei Sturm?
Vogel: Bis ihr mir jetzt diese Frage gestellt habt, habe ich mich noch keine Millisekunde damit beschäftigt, wie es mit mir weitergeht. Ich fühle mich sehr wohl hier in Graz. Wir haben eine gute Mannschaft, die ein tolles Abenteuer vor sich hat. Und ich will dabei sein.