Die Lehre als Fundament für eine schlagkräftige Menge an Fachkräften scheint für Jugendliche wenig attraktiv zu sein. Entschieden sich 1985 noch 47 Prozent der Jugendlichen für eine Lehre, waren es vor zehn Jahren zumindest noch 42 Prozent, zuletzt aber nur noch 37 Prozent. Woran liegt das?


Bernhard Heinzlmaier: Die Lehre hat nach wie vor ein Status-problem. Die sogenannte Mittelschicht glaubt noch immer, dass es ein sozialer Abstieg wäre, wenn ihr Kind eine Lehre beginnt. So versucht jeder, der zumindest den Funken einer Möglichkeit sieht, dass sein Kind „etwas Besseres“ machen soll, es in eine weiterführende Schule zu geben. Das größte Problem für die Lehre sind die Berufsbildenden Höheren Schulen, die neben einer Berufsausbildung auch den Matura-Status bringen. In manchen Branchen ist auch der Standard der Lehrausbildung nicht adäquat, was wiederum Zweifel an der Ausbildungsqualität nährt. Entschieden wird es schlussendlich von den Eltern.

Bernhard Heinzlmaier ist  Sozialwissenschaftler, Mitbegründer und seit 2003 ehrenamtlicher Vorsitzender des  Instituts für Jugendkulturforschung in Wien sowie Leiter  des Marktforschungsunternehmens T-Factory in Hamburg
Bernhard Heinzlmaier ist Sozialwissenschaftler, Mitbegründer und seit 2003 ehrenamtlicher Vorsitzender des Instituts für Jugendkulturforschung in Wien sowie Leiter des Marktforschungsunternehmens T-Factory in Hamburg © Georg Wilke

Die Jugendlichen trifft keine Schuld?

Mit dieser Schuldfrage braucht mir keiner kommen. Dass ein Jugendlicher mit 14 Jahren eine derart weitreichende Frage für sein Leben entscheiden soll, ist ja eine Zumutung. Sie sind damit vielfach überfordert. Und 50 Prozent der Entscheidungen trifft ohnehin das AMS, indem sie Jugendliche dorthin schickt, wo Lücken sind. So banal ist das.

Aber auch ältere Jugendliche finden es scheinbar wenig attraktiv, eine entsprechende Berufsausbildung zu machen. Woran liegt das?

Sie haben einen pragmatischen, keinen visionären Zugang zum Thema Arbeit, wollen nichts Großartiges für das Gemeinwesen leisten, sind eher egozentrisch, wollen keine neuen Techniken entwickeln oder etwa erfinden. Die Arbeit ist nur ein Lebensumfeld unter vielen. Genug Geld verdienen und dabei nicht zu unglücklich zu sein ist das Ziel.

Ein Generalvorwurf an die Jugendlichen lautet, keine Einsatzbereitschaft zu zeigen, permanent gelangweilt zu sein von allem oder gestresst durch das Diktat andauernder Inszenierung. Ist das ungerecht?

Das ist völliger Blödsinn. Ein wichtiges Ziel der Moderne war ja die Pluralisierung der Gesellschaft und ein hohes Maß an Diversifizierung. Es geht um Ausdifferenzierung. Das Ergebnis sind viele verschiedene Lebensentwürfe und individualisierte Biografien abseits klassischer Rollenbilder. Es wird propagiert, dass jeder sein Leben so gestalten kann, wie er will. Wenn es die Jugend dann so macht wie sie will, kann ich nicht sagen, das geht jetzt aber nicht.

Und was wollen die Jugendlichen?

Sie wollen nicht mehr nur als Arbeitskraft, sondern ganzheitlich wahrgenommen werden. Es gibt viele, die Interesse an einer Stelle als Beamter in der Hoheitsverwaltung oder bei einem großen Unternehmen haben. Dort erhoffen sie sich einen sicheren Job mit einem guten Einkommen und einen Arbeitsplatz, an dem ein harmonisches Klima herrscht. Die vielzitierte Work-Life-Balance und nette Kollegen sind ihnen wichtig. Die Mehrheit hat nicht sehr große Karriereambitionen. Fest steht nur, dass sie sich nicht zu Tode arbeiten will.

Und ausbildungsmäßig?

Es ist für die Jugendlichen immer noch erstrebenswert, zur Bildungselite zu gehören, dafür verzichten sie auch auf etwas Gehalt. Zumindest ein Bachelor-Abschluss soll es also schon sein – eine Lehre aber nicht.

Also lieber Master als Meister?

Ja, das lässt sich so zusammenfassen. Ideal wäre ja eine Verbindung aus beidem. Aber die, für die das machbar ist, sind eine Minderheit.

Müssen also auch die Unternehmen ihre Erwartungen ändern und sich umstellen?

Ja, beispielsweise 30 Stunden-Jobs anbieten. Das reicht vielen Jugendlichen. Die Unternehmen müssen bereit sein, diesbezüglich beweglich zu sein, sonst werden sie Pech haben. Der Markt hat sich ja gedreht: Die mächtige Seite sind jetzt die Arbeitnehmer. Sie werden überall gesucht.