JA, sagt Gerhard Stichauner. Österreich sollte wie Deutschland und andere EU- Staaten Kinder aufnehmen und sich erinnern an jene Zeit, in der Österreichs Kindern von Ländern wie der Schweiz oder Schweden geholfen worden ist.

Bundeskanzler Kurz will keine zusätzlichen Flüchtlinge aufnehmen. Auch keine Frauen, keine Kinder! Während Deutschland 1500 Kinder aufnehmen will, bleibt Österreich hart. Diese Härte wird auch von jenen Frauen vertreten, die als Ministerinnen von Gnaden des Sebastian Kurz ihre herzlosen Statements abgeben.

In diesen Tagen sei daran erinnert, dass die Welt österreichischen Kindern nach den beiden Weltkriegen nicht eisenhart und herzlos begegnet ist. Nach dem Ersten Weltkrieg bewahrten frühere Kriegsgegner in einer gigantischen Hilfsaktion Hunderttausende vor dem Hungertod. Am 4. Juni 1919 berichtete dazu die „Wiener Zeitung“: ,,Bisher sind aus Amerika Lebensmittel für die Ausspeisung von 50.000 Kindern durch 100 Tage eingelangt. Durch die US-Hilfe werden in ganz Deutsch-Österreich 123.000 Kinder täglich ausgiebiges Essen erhalten.“ Rund 250.000 völlig unterernährte Kinder wurden später in den Niederlanden, der Schweiz, Dänemark und Schweden aufgepäppelt und damit gerettet.

Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte der Hunger fast allen Kindern wieder schwer zu. Hugo Portisch schrieb darüber: ,,Darminfektionen traten epidemieartig auf und rafften Säuglinge und geschwächte Kleinkinder dahin.“ Die Schweizer und die Schweden waren die Ersten, die dem hungernden Österreich zu Hilfe kamen. Bei Hugo Portisch kann nachgelesen werden: ,,Im Herbst 1945 sind rund 50 Prozent der Kinder unterernährt, 30 Prozent gelten als schwer unterernährt. Und so kommt es zum Appell der österreichischen Länderkonferenz an die Welt: Österreich richtet an alle Hilfseinrichtungen jener Völker, welche durch diesen Krieg weniger oder gar nicht betroffen sind, den Appell, durch freiwillige Zuwendungen dem österreichischen Volk zu Hilfe zu kommen.“

Wieder war es die Schweiz, die sich als erste bereit erklärte, gefährdete Kinder aufzunehmen. Auf Plakaten in Schweden hieß es: Helft Österreichs Kindern! Es ging schlicht und einfach darum, die Kleinen vor Hunger und Kälte zu retten. Nach der Schweiz waren auch Belgien, Irland, Dänemark, die Niederlande, Schweden, Norwegen, Spanien, Portugal und Ungarn bereit, Kinder für eine einige Zeit aufzunehmen. So wurden Zehntausende kleine Mädchen und Buben gerettet.

Laut einer Umfrage sind angeblich 61 Prozent der Österreicher gegen die Aufnahme von weiteren Flüchtlingen, auch Kindern. Und trotzdem sollten wir uns eine Art von Politik wünschen, die sich nicht ausschließlich an Umfrageergebnissen orientiert …

NEIN, sagt Susanne Raab. Allein in den letzten zwei Jahren haben 11.000 Kinder und 4000 Frauen in Österreich um Asyl angesucht, allein heuer bereits weitere tausend Frauen und Kinder. Eine zusätzliche Aufnahme würde das falsche Signal vermitteln.

Die Situation der Flüchtlinge an der griechisch-türkischen Grenze und auf den griechischen Inseln lässt einen selbstverständlich nicht kalt. Trotzdem darf nicht vergessen werden: Präsident Erdogan benützt diese Menschen, um seine Macht gegenüber der EU zu demonstrieren. Doch Europa darf sich nicht erpressen lassen.

Es braucht einen Schulterschluss aller EU-Staaten für einen funktionierenden Außengrenzschutz, die direkte Unterstützung Griechenlands und Hilfe vor Ort in den Krisenregionen. Genau hier setzt Österreich auch an: Wir helfen Griechenland personell, mit technischer Ausrüstung und stellen eine Million Euro bereit. Darüber hinaus unterstützt die EU Griechenland mit 700 Millionen Euro Soforthilfe. Österreich hilft zudem vor Ort in Syrien mit drei Millionen Euro.

Klar ist aber auch: Österreich wird keine neuen Flüchtlinge aufnehmen – aus mehreren Gründen. So hat Österreich seit der Flüchtlingskrise 2015 sehr viel geleistet und nimmt derzeit laufend Flüchtlinge auf. Seit 2015 haben wir 110.000 Flüchtlingen Schutz gewährt, darunter 50.000 Jugendlichen, Kindern und 47.000 Frauen. Allein in den vergangenen zwei Jahren haben 11.000 Kinder und 4000 Frauen bei uns um Asyl angesucht. Und in den ersten zwei Monaten 2020 gab es insgesamt 2600 Asylanträge, darunter etwa von 1000 Frauen und Kindern. Eine zusätzliche Aufnahme würde das falsche Signal vermitteln, dass es Flüchtlinge, die es nach Griechenland schaffen, auch nach Österreich, Deutschland oder Schweden schaffen.

Außerdem hängt der Erfolg von Integration maßgeblich von der Zahl der zu Integrierenden ab. Und die Integration der Flüchtlinge aus 2015 und 2016 ist längst nicht abgeschlossen, sondern wird uns noch Jahre bis Jahrzehnte beschäftigen. Österreich hat seit 2015 Großartiges geleistet: Fast 70.000 Deutschkursplätze wurden zur Verfügung gestellt; mehr als 100.000 Menschen haben an Wertekursen teilgenommen und es gab unzählige ehrenamtliche Initiativen. Aber aktuell sind noch immer 32.000 Asylberechtigte ohne Job und Tausende in Deutschkursen. Darüber hinaus wird in der aktuellen Debatte der mögliche Familiennachzug nicht berücksichtigt. Im Durchschnitt bedeutet die Aufnahme eines unbegleiteten Minderjährigen auch die Aufnahme von vier weiteren Personen. Würde Österreich jetzt beispielsweise 500 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aufnehmen, hieße das, 2000 Menschen langfristig integrieren zu müssen. Österreich braucht deshalb keine weitere Zuwanderungs- und Aufnahmewelle. 2015 darf sich nicht wiederholen.