Warum haben Sie das Buch geschrieben und am Tag nach der Steiermark-Wahl herausgebracht?

ZEILER: Ich habe es nicht geschrieben, um abzurechnen. Ich habe es auch nicht geschrieben, um mich für den Parteivorsitz der SPÖ zu bewerben. Ich bin seit meiner Kindheit sozialdemokratisch geprägt, der Zustand der SPÖ liegt mir sehr am Herzen. Ich will nicht nur Kritik üben, sondern lege auch konkrete Ideen vor. Das Buch ist subjektiv, ich erhebe keinen Wahrheitsanspruch.

Sie standen 2016 für den Parteivorsitz zur Verfügung. Warum sollen wir Ihnen glauben, dass es diesmal anders ist?

ZEILER: Damals ging es darum, als Parteivorsitzender und Bundeskanzler einzusteigen und die Mehrheit für die SPÖ zu bewahren. Heute geht es darum, die SPÖ neu aufzustellen, eine inhaltlich breite Diskussion zu führen, so wie damals unter Bruno Kreisky. Da bin ich schon aufgrund meines Alters der Falsche. Es braucht eine neue Generation, aus meiner Sicht ist Rendi-Wagner die Geeignetste.

War es ein Fehler, nicht gegen Kern angetreten zu sein?

ZEILER: Es gab nach dem Rücktritt von Werner Faymann die Frage, ob es Christian Kern oder ich werden soll. Eine Mehrheit der Landesparteiobleute hat sich damals für Kern entschieden, nicht der Wiener Parteiobmann. Damit war die Sache gegessen. Hätte ich antreten sollen? Ja, aber es ist vergossene Milch. Die Parteivorsitzende hat jede Chance, aus der Krise etwas Neues und Gutes zu machen. Ich hoffe es wenigstens.

Wo muss die SPÖ ansetzen?

ZEILER: Früher hat jeder Mensch gewusst, wofür die Sozialdemokratie steht. Das ist heute zu verschwommen. Früher hat es ein inhaltliches Angebot an breite Bevölkerungsschichten gegeben. Diese Koalition aus Arbeitnehmern und Intellektuellen, städtischer und ländlicher Bevölkerung muss die Parteivorsitzende schmieden. Die Themen Leistung und Aufstieg werden heute nicht mehr mit der SPÖ identifiziert. Dass die SPÖ den Klimawandel den Grünen überlassen hat, halte ich taktisch für einen schweren politischen Fehler.

Sie fordern in Ihrem Buch auch eine Neupositionierung der SPÖ in der Migrationsfrage?

ZEILER: Die Sozialdemokratie kann sich nicht um eine klare Aussage zur Migration herumschwindeln. Auf der einen Seite darf man kein Jota am Asylrecht ändern, auf der anderen Seite geht es darum, Regeln für das Zusammenleben zu schaffen. Das ist mit Pflichten verbunden, etwa mit der Pflicht, Deutsch zu lernen oder unsere Werte zu akzeptieren. Parallelgesellschaften können wir uns nicht leisten. Ich glaube, dass die große Mehrheit der Sozialdemokratie auch denkt, es gehört nur gesagt. Ich habe das Gefühl, dass man sich in den letzten Jahren nicht getraut hat, die Dinge klar anzusprechen.

Hat die Krise der SPÖ auch damit zu tun, dass die SPÖ zu lang ein Kanzlerwahlverein war?

ZEILER: Manchmal werden Diskussionsbeiträge als störend empfunden, auch wenn sie positiv gemeint sind. Alles wird sofort mit Streit identifiziert. Natürlich ist es schwierig, wenn man die Kanzlerpartei ist. Das sollte jetzt leichter sein. Jetzt gehören Fenster und Türen aufgemacht.

Wäre Doskozil nicht eine Alternative? Er hat ähnliche Ansichten?

ZEILER: Nein. Wir haben eine Parteivorsitzende. Bei Hans Peter Doskozil habe ich das Fragezeichen, ob es ihm gelingt, die von mir angesprochene Koalition zwischen Arbeitnehmern und Intellektuellen zu schmieden. Er ist starker Vertreter der Stammwählerschaft, das reicht nicht. Das ist zu eng, will man von den 20, 25 Prozent wieder auf die 30 bis 35 Prozent kommen.

Ist Rendi-Wagner die Richtige?

GERHARD ZEILER: Man muss ihr Zeit geben. Auch Kreisky wurde nicht von einem auf den anderen Tag mit einer Mehrheit ausgestattet. Ich hoffe, dass sie die Zügel in die Hand nimmt.

Sie sind dafür, dass die SPÖ in Opposition geht. Sollte Türkis-Grün scheitern, sollte die SPÖ nicht auf die ÖVP zugehen?

GERHARD ZEILER: Bevor es zu einer Neuauflage von Türkis-Blau kommt, sollte die SPÖ ein Angebot an die ÖVP machen. Ehe die Reputation Österreichs Schaden nimmt, wäre dann schon die Sozialdemokratie gefragt.