Das stark umstrittene Gewaltschutzpaket hat Mittwochabend mit den Stimmen von ÖVP und FPÖ den Nationalrat passiert. Ungewöhnlich war, dass Kritik nicht nur aus den Fraktionen, sondern auch von der Regierungsbank kam - und die fiel geharnischt aus.

Justizminister Clemens Jabloner machte schon in seiner Einleitung klar, dass er zu der Vorlage, die die Vorgängerregierung initiiert habe, "eine reservierte Haltung" einnehme, auch wenn er die Opferschutzmaßnahmen begrüßte. Wenig später wurde er deutlicher: praktisch die gesamte Fachwelt lehne die Verschärfungen mit der Erhöhung der Strafen vor allem für Sexualdelikte und Delikte gegen Minderjährige "mit unterschiedlicher Vehemenz ab". Da diese Einwände einfach vom Tisch gefegt würden, werde das Gefühl vermittelt, Kritik sei unerwünscht.

"Zivilisatorischer Rückschritt"

Besonders stößt sich der Vizekanzler daran, dass junge Erwachsene von 18 bis 21 Jahren bei mehreren Delikten mit Erwachsenen gleich gestellt werden. Immerhin gebe es für sie kein Lebenslang, denn sonst wäre man gleich ins Jahr 1851 zurückgeführt worden, merkte er nicht ohne Sarkasmus an. Ungeachtet dessen sieht Jabloner einen "zivilisatorischen Rückschritt".

Der freiheitliche Justizsprecher Harald Stefan versuchte darauf, die aus seiner Sicht richtigen Relationen herzustellen. Er betonte, dass nur bestimmte besonders schwerwiegende Delikte aufgenommen worden seien, bei denen diese Altersgruppe besonders gehäuft als Täter vorkomme. Das bedeute Strafen, die mit fünf Jahren Minimum bedroht seien - bei Delikten, die gegen Leib und Leben oder gegen die sexuelle Integrität gingen, bei Völkermord, Kriegsverbrechen oder Beteiligung an terroristischen Vereinigungen.

Kritikpunkte

Zu den weiteren Kritikpunkten von Opferschutzvereinen zählt, dass die Anzeigepflicht für medizinisches Personal ausgeweitet wird. Hier wurde mittels Abänderungsantrag noch eine Einschränkung vorgenommen, wie VP-Justizsprecherin Michaela Steinacker ausführte. Demnach sollen Volljährige ein volles Recht haben der Anzeigepflicht zu widersprechen. Es sei denn, es drohe unmittelbare Gefahr, wie Stefan ergänzte.

Dass beispielsweise bei Vergewaltigung eine Mindeststrafe eingezogen wird, hält Steinacker für gerechtfertigt: "Wir wollen nicht, dass ein verurteilter Vergewaltiger nicht einen Tag im Gefängnis verbringen muss." Die höheren Strafausmaße werden nach Meinung Steinackers präventive Wirkung erzielen.

Das bezweifeln die anderen Parteien. SP-Justizsprecher Hannes Jarolim bezeichnete die Vorlage gar als "Schmarrn", SP-Frauenchefin Gabriele Heinisch-Hosek zeigte sich überzeugt, dass die geplanten Verschärfungen dem Opferschutz nicht dienlich seien.

So werde die Verdoppelung von Mindeststrafen dazu führen, dass Frauen sich zurückziehen und keine Anzeige erstatten. Sinnvoller wäre es nach Meinung der SP-Mandatarin, dass ein Aktionsplan für Frauen zum Schutz vor Gewalt, eine Stärkung der Prozessbegleitung sowie einschlägige Weiterbildung für Richter und Staatsanwälte etabliert wird und verpflichtende Anti-Gewalt-Trainings für Täter festgeschrieben werden, aber erst nach der Verurteilung.

"Mogelpackung"

Die NEOS-Mandatarin Irmgard Griss nannte die Gesetzesvorlage eine "Mogelpackung", anständige seriöse vernunftgeleitete Politik schaue anders aus. Stattdessen werde hier "Stammtischpolitik in Reinkultur" betrieben.

Nach Einschätzung von Griss wird diese Vorlage "wahrscheinlich keine einzige Gewalttat verhindern". Kein einziger Gewalttäter erkundige sich vorher, wie hoch die Mindest- oder die Höchststrafe sei.

Frauenministerin Ines Stilling mahnte sanft ein, dass man auf die Meinung der Experten mehr hören hätte können. Die mit dieser Thematik befassten Stellen wüssten besser "als wir alle hier" Bescheid, was Betroffene brauchen. Gewarnt wurde von Stilling vor unbedachten Fehlern, etwa wenn die gut gemeinte Ausdehnung des Betretungsverbots die Folge habe, dass damit ein Verzicht auf eine Bannmeile bei Schulen einhergehe.

Seitens des JETZT-Klubs sprach der Abgeordnete Alfed Noll von "reinem Aktionismus" und einer postfaktischen Politik. Vielmehr müsse mehr Geld locker gemacht werden, es fehle sowohl an den Gerichten als auch bei Opferschutzeinrichtungen.

Noll nützte seine letzte Rede im Nationalrat auch gleich für eine Abrechnung mit seinen Abgeordneten-Kollegen, die er unter anderem "verbrecherischer Unterlassungen" zieh. Sein Abschiedsgruß: "Sie sind Fürstendiener, aber keine Volksvertreter." Die gerade Vorsitz führende Zweite Präsidentin Doris Bures (SPÖ) verabschiedete Noll mit besten Wünschen und einem Ordnungsruf.

Klimanotstand

Der Nationalrat bekannte sich überdies am Mittwochabend in einem Entschließungsantrag dazu, einen Climate Emergency, also Klimanotstand, zu erklären und damit die Eindämmung der Klima- und Umweltkrise und ihrer schwerwiegenden Folgen als Aufgabe höchster Priorität anzuerkennen.

Abgelehnt wurde das nur von der FPÖ. Deren Abgeordneter Walter Rauch sprach von einem Versuch "Klimahysterie abseits von jeglichen Realitäten" zu erzeugen. Weltuntergangsszenarien würden niemandem weiterhelfen, ergänzte der Abgeordnete Harald Stefan.