Historisches ereignet sich wohl am kommenden Mittwoch Vormittag im Ausweichquartier des Parlaments am Josefsplatz. Die Verfassung sieht vor, dass sich jede Regierung bald nach der Angelobung im Plenum einzufinden hat, und so wird sich auch Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein der Diskussion stellen.

Warum das diesmal mehr ist als das übliche Ritual, das ein paar Polit-Junkies interessiert: Erstmals nehmen eine Kanzlerin, ein Vizekanzler und zehn Minister auf einer Regierungsbank Platz, die zwar über höchstes Expertenwissen verfügen, aber nicht aus freien Wahlen hervorgegangen sind. Was  entscheidend ist: Das von Bundespräsident Alexander Van der Bellen zusammengesetzte Übergangskabinett widerspiegelt nicht das politische Kräfteverhältnis im Land und ist ohne Mehrheit im Parlament.

Das führt zu einer erstaunlichen Machtverschiebung, die Österreich bisher noch nicht gekannt hat. Über Nacht ist das Parlament zum neuen Machtzentrum des Landes aufgestiegen. Bekanntlich hat sich die Übergangsregierung dem Slogan „verwaltet statt gestalten“ verschrieben, die Kanzlerin will keine Initiativen ergreifen, keine Gesetzesvorschläge ausarbeiten, keine personellen Weichenstellungen vornehmen.

Dass diese ehrenwerte Maxime politischen Sprengstoff birgt, zeigt das Pfingstwochenende. Weil durchgesickert ist, dass die Kanzlerin das mit den Ländern ausverhandelte Bildungsinvestitionsgesetz am kommenden Mittwoch aus grundsätzlichen Gründen nicht in den Ministerrat einbringen will, schrillten nicht nur bei Bildungsministerin Iris Rauskala, sondern auch beim Chef der LandeshauptleutekonferenzPeter Kaiser, den anderen Länderchefs, den Bildungsdirektionen, dem Chef des Gemeindebundchefs Alfred Riedl die Alarmglocken. Mit einem Schlag schien die Nachmittagsbetreuung für 132.000 Schüler ab Herbst nicht mehr gesichert.

Eine höchst erstaunliche Allianz aus ÖVP und FPÖ sicherte gestern zu, dass man mittels Initiativantrag im Parlament das Problem aus der Welt schaffen werde. So gesehen helfen Türkis-Blau der Kanzlerin aus der Patsche. Am Mittwoch will Ex-Umweltminister Elisabeth Köstinger das Plastiksackerlverbot einbringen. Ähnliches wird bei der Mindestpension von 1700 Euro erwogen. Und im Juli soll das Rauchverbot durchgesetzt werden – mit dem Kabinett als Zaungast auf der Zuschauer- bzw. Regierungsbank.