Tausende Verfahren zur Überprüfung von Doppelstaatsbürgerschaften stehen vor der Entscheidung. Was passiert mit Austrotürken, denen rückwirkend die österreichische Staatsbürgerschaft aberkannt wird?

BERND-CHRISTIAN FUNK: Es könnte zum Verlust der Existenz führen, zur Vernichtung der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Existenzgrundlage.

Die Betroffenen können nach dem Entzug der Staatsbürgerschaft um ein humanitäres Bleiberecht ansuchen, dürfen in dieser Zeit aber nicht arbeiten, oder?

FUNK: Ja, das führt zum Entzug der beruflichen Grundlage, gegebenenfalls auch zur Rückabwicklung des Ankaufs von Liegenschaften. Dieser ist in Österreich noch immer durch die Ausländergrunderwerbsregelung eingeschränkt: Der  Grunderwerb durch Ausländer im Inland ist an eine gesonderte Genehmigung gebunden, wenn es nicht EU-Bürger sind. Mit dem Entzug der Staatsbürgerschaft ist zunächst einmal die Grundlage des seinerzeitigen Rechtsgeschäftes weggefallen, es muss so getan werden, als hätte es dieses nie gegeben.

Das heißt, der ursprüngliche Verkäufer könnte an einen anderen verkaufen?

FUNK: Natürlich muss das grundbücherlich abgewickelt werden, aber ja: Im Endeffekt könnte das herauskommen. Das gilt auch für Förderungen, zum Beispiel auch landesgesetzlich geregelte, wie die Wohnbauförderung, wenn diese an die Staatsbürgerschaft oder an eine EU-Bürgerschaft gebunden sind. Die bezogene Summe wäre zurückzuerstatten. Das ist eigentlich nicht vorstellbar. Es ist eine Horrorvision!

Sie meinen die Rechtsunsicherheit?

FUNK: Nein, es geht nicht um Rechtsunsicherheit, denn es ist ja sicher, was zu geschehen hätte. Die rigorosen Folgen sind absehbar, es ist das, was unsere Gesetze vorsehen. Und es sind Folgen, die so rigoros sind, dass man sich fragen muss, ob sie in einem Grundrechte gewährenden Rechtsstaat noch zuträglich sind. Da geht es um die Verhältnismäßigkeit.

Sie sagen es selbst: Das ist alles gesetzlich geregelt. Was wäre also zu tun?

FUNK: Ich würde ja eben meinen, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu bedenken ist. Im Einzelfall droht die Existenzvernichtung. Man muss eine gesetzliche Regelung treffen, die das abwendet.

Hätte das nicht schon längst geschehen müssen?

FUNK: Ja, denn die volle Härte der Folgen droht auch in Konflikt zu geraten mit der Menschenrechtskonvention, die elementarer Bestandteil unserer Grundrechte ist.  Artikel 3 untersagt die unmenschliche Behandlung. Ein Staat, in dem die Existenzvernichtung möglich ist, begibt sich auf Kollisionskurs mit diesem Grundrecht. Das gilt übrigens auch für andere Fälle, wenn ich etwa an die Diskussion über Asylwerber in Ausbildung denke, wo ebenfalls der Grundsatz zu herrschen scheint: Recht muss geschehen, auch wenn dabei Existenzen zugrunde gehen.