Fragen Sie doch einmal den Fußballer Cristiano Ronaldo, wie es denn so ist, wenn einem ein Denkmal hingestellt wird. Seines ist nicht nur hässlich (damit könnte man zumindest seine Gegner einschüchtern), sondern die reine Lachnummer. Daran lässt sich nicht rütteln. Wie auch? Es ist ja aus Bronze. So ist das mit Denkmälern, sie sollen den Aggregatszustand der Erinnerung konservieren. Der ist, wie wir aus eigener Erfahrung wissen, äußerst flüchtig. Ein Denkmal schafft das schier Unmögliche: das Flüchtige in Stein zu meißeln. Mehr noch: Einmal in den öffentlichen Raum gestellt, verbreitet es seine Botschaft an neuralgischen Punkten. Meist unwidersprochen, denn an Marmor prallt naturgemäß viel ab. Wer es in einem Kreisverkehr immer und immer wieder umrundet, dem mag es so gehen wie beim Lernen von Englischvokabeln: Irgendwann bleibt es hängen.

Vor dem Buckingham-Palast, da steht so ein Denkmal: 26 Meter hoch, aus Marmor, auf der Spitze thront die mythologische Siegesgöttin Victoria. Welches Bild wirft die vergoldete Statue wohl zurück, wenn der zweifelnde Brite einen Blick auf die vergoldete Schönheit wirft? Vielleicht: Die Punks sind längst Mainstream, die Gallagher-Brüder werden wohl nie mehr zusammenfinden, Harry und Meghan sollen doch ihre eigenen Wege gehen, aber Great Britain ist unerschütterlich. Denn wir sind das britische Empire. 1911 entstand das Denkmal, 1922 erreichte das größte Kolonialreich der Weltgeschichte seine größte Ausdehnung: Ein Viertel der damaligen Weltbevölkerung war Teil des Empire. Und dieses Bild, das dem Victoria Memorial eingeschrieben ist, ist jenes, das nicht wenige Brexit-Verfechter nun vor sich haben. Dieser Blick nach vorn besteht aus einem 80-prozentigem Blick zurück.

In der Turbinenhalle der Tate Modern

In der Turbinenhalle der Tate Modern in London hat die US-Künstlerin Kara Walker den verklärten Blick scharf gestellt und ein Denkmal hingestellt, das sich wie ein widerspenstiger Zwilling gebärdet, indem er all die Gräuel dieses Hyper-Kolonialismus auf die Spitze treibt: „Fons Americanus“. Von ganz oben beginnend, beschreibt eine Wasserfontäne einen schönen Bogen, bevor sie 13 Meter weiter unten in ein Wasserbecken klatscht.

Das Wasser spritzt der Figur an der Spitze aus dem aufgeschlitzten Hals und aus ihren Brüsten. Haie bevölkern das Wasser, indem schiffbrüchiges Boot treibt, darin ein entkräfteter Mensch. Ist er noch am Leben oder doch schon tot? Auf einem Podest steht ein Baumstamm, daran baumelt ein Strick.

Grandios-zynischer Beitrag zur Erinnerungskultur

Es sind nicht die Herrscher, die hier ihre Botschaft verbreiten, es sind die Beherrschten, deren Leid sichtbar gemacht wird. Das Denkmal zeigt, was im Schatten liegt, wenn das Empire zu glänzen pflegt. Walkers „Fons Americanus“ ist ein grandios-zynischer Beitrag zur Erinnerungskultur, die in Tagen wie diesen von jenen ausgeblendet wird, die gerade dabei sind, ihren Gedankenpalast für die Zukunft in schönsten Farben auszumalen. Der Zukunftsrausch, der den postimperialen Phantomschmerz lindern soll. Wird es dann auch neue Helden für neue Denkmäler geben? In Zeiten, in denen Geschichten so schnell um den Erdball gejagt werden, dass sie schon am Nachmittag so abgestanden wirken wie ein vor zwei Stunden gezapftes Pint im Pub?

Auch das mit dem Empire wird nicht so einfach werden, längst hat sich eines formiert, das mehr „Einwohner“ hat als jedes andere Land auf dieser Welt: 2,5 Milliarden. Dieses Empire, es heißt Facebook. Wer auch immer sich dagegen stemmt, der wird es nicht allein tun können oder, um es mit dem britischen Schriftsteller John Donne zu sagen, der im 17. Jahrhundert einen philosophischen Geistesblitz hatte: „Niemand ist eine Insel“. Wobei, wenn man groß denkt, könnte man es auch andersrum sehen. Denn vom Weltall aus gesehen, schaut Großbritannien aus wie ein mächtiges Denkmal, das von viel Wasser umgeben ist. Ach Europa, don’t look back in anger!